Nachhaltiges Wachstum oder Schrumpfung?

Von Jürgen Weber

Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise und dem Scheitern der Klimaverhandlungen in Bali 2007 melden sich vermehrt gesellschaftliche Strömungen zu Wort, um unterschiedliche Wege aus dem Wachstumsdilemma aufzuzeigen. Eine Übersicht.

Im Gegensatz zu staatsinterventionistischen Varianten, bei denen die ökologische und die wirtschaftliche Krise auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gelöst werden soll und die auf schuldenfinanzierten Wachstum setzen, ist die Politik des »Green New Deal« und die Idee der »neuen industriellen Revolution« Teil einer öko-keynesianischen Strategie für einen grünen Kapitalismus mit qualitativem und »nachhaltigem Wachstum«. Im Kern wird auf eine Änderung der Wachstumspolitik von Staat und Institutionen durch höhere Ressourceneffizienz und entkoppeltes ökonomisches Wachstum von Energie- und Stoffströmen gesetzt. So soll genügend ökologischer Spielraum für weiteres Wachstum entstehen können. Dem Primat der Kapitalakkumulation wird zugunsten der (sozialen) Marktwirtschaft eine Absage erteilt.

Die Forderung nach einer Rekonstruktion von Marktwirtschaft und einer neuen Ethik der Arbeitsbeziehungen und des ökonomischen Austausches ist auch aus der etablierten Wirtschaftswissenschaft zu hören, hier jedoch geprägt von der »Integration ökologischer Komponenten in betriebswirtschaftlich orientierte Ideen- und Produktproduktion« (Peter Schyga). Trotz wichtiger Impulse für eine Nachhaltigkeitsstrategie dürften Ökoeffizienz und eine Umschichtung zugunsten des Dienstleistungssektors aber nicht ausreichen, einen tiefgreifenden strukturellen Wandel sowohl in der verschwenderischen und imperialen Lebensweise als auch in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen herbeizuführen.

Ansätze einer solidarischen Postwachstumsökonomie, die die soziale Frage mit der ökologischen verknüpft, beziehen sich in erster Linie auf Bewegungen, wie sie in Südeuropa und in Großbritannien entstanden sind. »Wachstumsrücknahme« bedeutet zuerst, die verbreitete Konsum- und Wachstumsideologie zu hinterfragen. Auf dem Weg in das »Postwachstum« bieten sich Anknüpfungspunkte aus den Bereichen der solidarischen Ökonomie sowie lokalen und regionalen Wirtschaftskreisläufen.

Charakteristika von Unternehmen, Genossenschaften, Umsonst-Ökonomien und Verbänden der solidarischen Ökonomie sind beispielsweise gleichberechtigte Kooperation, Bedarfsorientierung im Gegensatz zu Profitorientierung oder eine Entlohnung, die ein würdiges Leben ermöglicht. Ihnen gemeinsam ist die Suche nach einem anderen Lebensmodell und einer regionalisierteren, demokratischen Ökonomie. Eine solche grundlegende Infrastruktur wird als Ausgangspunkt für einen Übergang zu einem Wirtschaften ohne Wachstum verstanden. Solidarische Ökonomie scheint jedoch nicht möglich, ohne eine gesellschaftliche Kontrolle von Investitionen und die Regulierung der globalen Finanzmärkte.

Die Abkehr vom Ideal des ausschließlich »wirtschaftlich denkenden Menschen« ist verbunden mit einer neuen post-keynesianischen, ökologischen Makroökonomie, wie sie etwa der britische Ökonom Tim Jackson vertritt. Im Mittelpunkt seines Konzeptes (Wohlstand ohne Wachstum) steht die soziale Absicherung der Menschen als eine Voraussetzung für eine »angstfreie« Diskussion über eine gesellschaftliche und ökonomische Transformation. Ziel ist soziale Gerechtigkeit, Umverteilung des Reichtums und eine Schrumpfung ressourcenintensiver Wirtschaftsbereiche, beispielsweise der Automobilindustrie. Eine ökologisch gerechte Lebensweise bedeute eine neue Form sozialen Wohlstandes. Voraussetzung ist die Verlagerung von privaten Investitionen und privatem Konsum hin zu öffentlichen Investitionen und kollektivem Konsum (öffentlicher Nahverkehr statt privater Automobilität). Umfassend geht es um einen strukturellen Übergang von hochproduktiven Sektoren hin zu sozialen und ökologischen Dienstleistungen, die nur sehr niedrige Profitraten abwerfen oder gar keine Profite erzeugen. Hinzu käme eine massive Reduktion der insgesamt geleisteten Lohnarbeitsstunden; mithin Zeit, die dem Einzelnen und der Gesellschaft als Freiheitsgewinn zugute kommt.

Aus internationalistischer Perspektive müssen gleiche soziale und ökologische Rechte für alle Menschen verwirklicht werden. Das schließt einen gleichen Pro-Kopf-Verbrauch an Naturressourcen, der unterhalb der Regenerationsfähigkeit des Planeten bleibt, mit ein. Damit sollen auch Spielräume zur Verwirklichung eines »guten Lebens« (Buen vivir) im globalen Süden eröffnet werden.

Teil vier der Serie am kommenden Freitag beschäftigt sich mit der wachstumskritischen Debatte im Vorreiterland Frankreich.