Von Kuh-Banken und Peacemakern

 

Von Kuh-Banken und Peacemakern

Zu Besuch in einem Dorf in Kambodscha

22.11.2010 | Maja Schuster & Jürgen Weber

Prek Chrey ist ein geteiltes Dorf – und doch könnte es eine gemeinsame Zukunft haben.

In Phnom Penh haben wir uns vor dem Büro der Dorfentwicklungsorganisation Khmer Community Development (KCD) mit der Geschäftsführerin Sokha Chan und ihrem französischen Mitarbeiter Alain Fressanges verabredet. Von hier aus brechen wir nach Prek Chrey in der Provinz Kandal im Süden Kambodschas auf. Mindestens einmal in der Woche fahren die KCD-MitarbeiterInnen in das Dorf an der Grenze zu Vietnam.

Sokha Chan hatte im Jahr 2002 einen Studentenclub in Phnom Penh ins Leben gerufen, der sich um die Probleme der jungen Generation in Kambodscha kümmern wollte. Daraus entwickelte sich die Organisation KCD. 2006 lernte sie auf einer Party der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (gtz) den Franzosen Alain Fressanges kennen. Er erzählte ihr von den Schwierigkeiten mit seiner Entwicklungsarbeit in einer Kommune an der Grenze zu Vietnam und sie beschlossen zusammenzuarbeiten. „Zwei Jahre lang hatte ich alleine versucht, zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Prek Chrey beizutragen“, berichtet Alain Fressanges. „Aber ich war aufgrund der Sprachprobleme nicht in der Lage, die wirklichen Bedürfnisse der Menschen zu erkennen.“

Eine Minderheit im eigenen Land

Nach drei Stunden Fahrzeit erreichen wir unser Ziel. Prek Chrey an der vietnamesischen Grenze ist ein zweigeteilter Ort. Von den 13.000 Einwohnern/innen sind rund 10.500 so genannte ethnische Vietnamesen/innen. 500 haben einen kambodschanisch-vietnamesischen Familienhintergrund. Sie leben in einem Teil des Ortes, getrennt von den rund 2.000 Bewohnern/innen mit kambodschanischen Wurzeln – den Khmer. Auch sprachlich sind sie voneinander isoliert: Weder sprechen die Khmer die Sprache ihrer vietnamesischen Nachbarn noch umgekehrt. Durch den Vietnamkrieg, die Regierungszeit der Roten Khmer und den von 1979 bis 1989 währenden Bürgerkrieg haben sich viele der in Kambodscha ansässigen Vietnamesen hier in den Grenzregionen zu Vietnam angesiedelt. Sie leben mit der ständigen Furcht, erneut diskriminiert und vertrieben zu werden. Die Khmer-Bevölkerung dagegen fühlt sich in Prek Chrey als Minorität im eigenen Land, was das Zusammenleben schwierig macht.

Heute haben sich in der Kinderbibliothek von Prek Chrey Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu einer Versammlung des Projektes Prek Chrey Community for Development (PCD) eingefunden. Eine Frau berichtet von dem Erwerb einer Kuh. Ihre Familie ist eine von 42 Familien, die seit einigen Monaten eine „Kuh-Bank“ aufbauen. „Habt ihr der Kuh auch einen Namen gegeben?“, fragt Alain Fressanges. „Sie heißt ‚Power'“, lautet die Antwort, die alle zum Lachen bringt.

Das Regelwerk der Kuh-Bank sieht vor, dass jeweils drei Familien eine Gruppe bilden, die für eine Kuh und deren Nachkommen verantwortlich ist. Jede der Gruppen legte zu Beginn fest, welche Familie in den ersten zwölf Monaten für die Kuh verantwortlich ist und 25 US-Dollar an PCD zahlt. Ein Jahr, nachdem das erste Kalb geboren wird, wird dieses an die zweite Familie in der Gruppe abgegeben, die dafür ebenfalls 25 US-Dollar an die Gemeindekasse entrichtet. Das erste Kalb in der zweiten Familie geht wiederum an die dritte Familie in der Gruppe. Das dritte Kalb aus allen Familien einer Gruppe wird nach einem Jahr zu Gunsten der Gemeinde verkauft. Sobald die dritte Familie ihre Jungkuh erhalten hat, sucht die Gemeinschaft eine neue Familie aus, die deren erstgeborenes Kalb erhalten wird – die Kette soll nicht unterbrochen werden.

Neben der Kuh-Bank ist in den letzten Jahren auch ein Projekt zur Entwicklung einer Reis-Bank entstanden. Der Nutzen dieser Art von Entwicklungsarbeit reicht weit über ökonomische Kategorien hinaus. Dadurch, dass die Bewohner/innen selbst die Ideen für die Projekte liefern und an deren Umsetzung beteiligt sind, entwickelt sich allmählich ein Gefühl der Selbstachtung. Anstatt passive Hilfeempfänger/innen zu sein, engagieren sie sich aktiv für das Wohlergehen der Gemeinde.

Was bedeutet Veränderung?

Der Schlüssel für ein besseres und friedlicheres Miteinander von Vietnamesen und Khmer liegt für KCD vor allem in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Seit 2007 wird jedes Jahr am „Internationalen Tag des Kindes“ ein großes Fest organisiert – mittlerweile der Höhepunkt im sozialen Leben des Ortes. Schon in die fünfwöchige Vorbereitung werden die Kinder aller Bevölkerungsgruppen integriert. Am Festtag spielen gemischte Fußball- und Volleyballteams gegeneinander. Die Kinder zeigen gemeinsam gestaltete Werke (zum Beispiel Plakate mit Friedensmotiven) und führen Theaterstücke auf. Der Tag endet mit einem Friedensmarsch durch das Dorf. Kinder und Jugendliche, die zweisprachig sind, können sich als „Peacemaker“ engagieren. Sie sind Ansprechpersonen im Falle eines Konfliktes zwischen den Kindern beider Bevölkerungsgruppen. Viele von ihnen arbeiten im Prek Chrey Children’s Club Solidarity for Peace, kurz Friedensclub, mit.

„Seit KCD mit uns arbeitet, geht es uns besser“, sagt eine Frau während der Versammlung. „Auch die lokalen Autoritäten nehmen uns jetzt ernst und brüsten sich sogar in den Nachbargemeinden mit den vielen Aktivitäten in ‚ihrem Dorf‘!“ Für Alain Fressanges stellen die letzten Jahre einen Lernprozess dar: „Anfangs dachte ich noch es müsste ausreichen, den Fluss von Steuergeldern aus den reichen Ländern nur ein wenig nach Prek Chrey umzuleiten. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass allein die Perspektive einer von außen kommenden Besserung die Menschen vor Ort aus ihrer Verantwortung entlässt. Eine sinnvolle Veränderung ist nur die, die von den Menschen selbst gewünscht wird.“

Wir verlassen Prek Chrey am späten Nachmittag, beeindruckt von den vielfältigen Aktivitäten. Das Wichtigste sei, so Sokha Chan, dass die Menschen lernen, ihre eigenen Probleme und Ideen auszudrücken und dabei die Rechte des anderen zu respektieren. Zur ihrem Entwicklungsansatz bemerkt sie: „Wir haben das Glück keine Gruppe von Experten zu sein, die schon wissen, was ‚richtige‘ Entwicklungsarbeit ist. Auch Alain hat ohne Vorwissen in der Entwicklungshilfe angefangen. Das macht es einfach, unsere Arbeit als wechselseitiges ‚Empowerment‘ zu verstehen.“

Weitere Informationen zu den Projekten in Prek Chrey: www.kcd-ngo.org