Vorsicht vor den Klimaklempnern (WOZ 2017)

Wenn in ein paar Tagen die Uno-Klimakonferenz in Bonn beginnt, steht Geoengineering nicht auf der offiziellen Traktandenliste. Einigen sich die Staaten aber nicht auf griffige Massnahmen gegen die Erderwärmung, dürften technische Manipulationen des Klimas bald salonfähig werden.

Es klingt wie aus einem Science-Fiction-Film: Um das Erdklima zu kühlen, könnten in Zukunft mit Flugzeugen reflektierende Schwefelpartikel in der Stratosphäre ausgebracht werden, die dann einen Teil der Sonnenstrahlen abhalten würden. Der Effekt lässt sich am Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Jahr 1991 ablesen, bei dem rund siebzehn Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre gelangten. In der Folge drangen fünf Prozent weniger Sonnenlicht zur Erdoberfläche durch, und die globale Durchschnittstemperatur sank um ein halbes Grad.
Geoengineering nennt man die grosstechnologischen Lösungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Im Vorfeld der 23. Uno-Klimakonferenz (COP 23), die am 6. November beginnt, mehren sich Stimmen, die (wieder) nach ebensolchen Lösungen rufen. Dies vor dem Hintergrund, dass das vor zwei Jahren an der Klimakonferenz in Paris beschlossene Ziel, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf unter zwei Grad Celsius zu beschränken, kaum erreicht werden kann. Denn die Emissionsreduktionen, zu denen sich die einzelnen Staaten verpflichtet haben, reichen nicht aus, zumal die USA bereits wieder aus der Klimavereinbarung ausgetreten sind und Deutschland, das Gastgeberland der COP 23, seine bis 2020 gesteckten Reduktionsziele deutlich zu verfehlen droht. Eine Politik des «Weiter so» führt aber laut dem aktuellen Bericht des Klimarats IPCC zu einer globalen Erwärmung von zwischen 3,7 und 4,8 Grad Celsius – die Folgen wären fatal.

Aerosole in der Stratosphäre

Die meisten Methoden des Geoengineerings konzentrieren sich darauf, der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) zu entziehen oder die Absorption der Sonnenenergie zu vermindern. Solche globalen Klimamanipulationen sind weder erprobt, noch sind ihre Folgen absehbar. So haben etwa Schwefelpartikel in der Atmosphäre noch andere Effekte, als nur die Sonne zu verdunkeln. Der Ausbruch des Pinatubo schädigte gleichfalls die Ozonschicht und schwächte den Monsun in Afrika und Asien.
Eine weitere Nebenwirkung kann die Entstehung sauren Regens sein. «Was immer man in die Stratosphäre einbringt, wird sich irgendwann auf der Erdoberfläche wiederfinden», sagt der Politikwissenschaftler Stefan Schärer, der am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam forscht. Die Einschätzung von Risiken und Nebenwirkungen sowie die Verantwortung für eventuelle Schäden seien das eigentliche Problem von Aerosolinjektionen in die Stratosphäre. Da keine Versuche in einem geschlossenen System stattfinden können und Wetter und Klima komplexe Phänomene sind, wird schwer zu erkennen sein, was die Folgen eines menschlichen Eingriffs und was natürliche Klimaschwankungen sind.
David Keith von der Harvard-Universität will trotzdem im kommenden Jahr im Forschungsprojekt «Scopex» mit Aerosolen experimentieren: Ein Ballon soll geringe Mengen an Schwefeldioxidpartikeln, Wasserdampf und Calciumcarbonat in zwanzig Kilometern Höhe verteilen. Anschliessend will Keith die Wechselwirkung mit anderen Teilchen in der Luft messen. Grössere Zusammenhänge im Klimageschehen können auf diese Weise aber nicht untersucht werden.
An der bevorstehenden Klimakonferenz in Bonn ist Geoengineering offiziell kaum ein Thema. Hinter verschlossenen Türen hingegen schon, vermutet Ann-Kathrin Schneider, die Klimaexpertin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Denn erste Entwürfe des auf 2018 angekündigten IPCC-Sonderberichts zur Frage, wie die Erderwärmung sogar auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden könnte, dürften in Bonn bereits kursieren. «Ich nehme an, dass viele Akteure sagen werden, dass Geoengineering jetzt unsere einzige Hoffnung sei», so Schneider.
Tatsächlich: «Es wird äusserst schwierig, die Ziele des Pariser Abkommens ganz ohne Climate Engineering zu erreichen», sagt etwa Mark Lawrence, der wissenschaftliche Direktor am IASS. «Es ist nicht unmöglich, aber eine extreme Herausforderung für die Gesellschaft.» Lawrence, der am IASS die Forschung zum Geoengineering initiiert hat, betont, dass bereits der aktuelle IPCC-Bericht mit technischen Eingriffen ins Klimasystem rechnet. «In fast neunzig Prozent der ambitionierten Szenarien wurde angenommen, dass der Atmosphäre mehrere Hundert Gigatonnen Kohlendioxid durch den einen oder anderen Mechanismus entzogen werden, insbesondere Bioenergie, kombiniert mit Kohlendioxidabscheidung und -sequestrierung.»
Das Verfahren ist unter dem Kürzel BECCS bekannt: Dabei soll in grossem Stil Biomasse angebaut werden, die der Atmosphäre CO2 entzieht. Wird diese hernach zur Energiegewinnung verbrannt, soll das dabei entstehende CO2 abgespalten und im Boden verpresst oder sequestriert werden. Letzteres ist in den vergangenen Jahren in verschiedenen Pilotprojekten erprobt worden – grossflächig aber noch nie. Ausserdem sind die meisten Pilotprojekte gescheitert und haben sich als unwirtschaftlich erwiesen.
Stefan Schäfer hält BECCS für eine der praxisrelevanteren Technologien, ist aber trotzdem skeptisch. «Mit Sicherheit würden durch den Aufbau einer Industrie zum Abscheiden der CO2-Emissionen erst einmal neue Emissionen entstehen.» Problematisch seien ausserdem ihr enormer Flächenbedarf und die grossen Monokulturen. Einem der IPCC-Szenarien zufolge müsste auf 580 Millionen Hektaren Biomasse angebaut werden – das entspräche einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche weltweit.

Mexikanische Initiativen

Kritische nichtstaatliche Organisationen wie die Heinrich-Böll-Stiftung oder die Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisation ETC Group befürchten Verdrängungseffekte. KleinbäuerInnen und Indigene könnten von ihrem Land vertrieben werden, grossflächige Monokulturen zu Biodiversitätsverlusten führen. Durch indirekte Landnutzungsänderungen könnte BECCS wiederum dazu führen, dass an anderer Stelle Wälder gerodet werden – im schlimmsten Fall würde mehr CO2 freigesetzt als unterirdisch eingelagert.
Statt über CO2-Sequestrierung zu diskutieren, könnten durch die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme wie Regenwälder, Moore und Ozeane einmalig 220 bis 330 Gigatonnen CO2 gebunden werden. Solche Initiativen gibt es bereits im Kleinen. In Mexiko gehen lokale Gruppen gegen die Wüstenbildung vor, nutzen bodenerhaltende Mischkulturen, wie die in Mittelamerika seit Jahrhunderten betriebene Milpa mit Mais, Bohnen und Kürbis, und versuchen, Urwälder zu schützen. «All dies sind kommunitäre Erfahrungen, bei denen Böden, Grundwasser und das Klima wiederhergestellt werden», sagt der mexikanische Ökonom und ETC-Vertreter Octavio Rosas Landa. Doch die Initiativen werden von der Regierung nicht unterstützt – im Gegenteil: «Klima- und Umweltschützer werden in Mexiko kriminalisiert, umgebracht und zum Verschwinden gebracht.»

Wer entscheidet über Experimente?

Rosas Landa ist Mitte Oktober an eine Konferenz zu Geoengineering nach Berlin gereist, die Mark Lawrence organisiert hatte. Bewusst stellte der Leiter des IASS dabei nicht den Austausch über konkrete Technologien ins Zentrum, sondern die Frage der «Governance»: Sollen sich Wissenschaft und Politik überhaupt mit der Manipulation des Weltklimas befassen? Wenn ja, wer darf über Experimente bestimmen? Gruppen wie die Academic Working Group on International Governance of Climate Engineering überlegen bereits, welche Institutionen über Klimaversuche und die spätere Anwendung entscheiden könnten. Aber weshalb wird überhaupt über einen rechtlichen Rahmen des Geoengineerings diskutiert, wo nicht einmal das nötige Wissen vorhanden ist, um entscheiden zu können, welche Technologien am ehesten anwendungsreif oder mit den wenigsten Risiken behaftet sind?
Octavio Rosas Landa kann in den bisherigen Vorschlägen zur Governance keinen demokratischen Prozess erkennen. «Wir brauchen eine Debatte, wie die schutzbedürftigsten Gruppen der Gesellschaft an Entscheidungen teilhaben können. Die Leute in ländlichen Gemeinden in den ärmsten Ländern brauchen einen ihrer Kultur angemessenen Zugang zu Informationen.» Ein Ergebnis eines demokratischen Entscheidungsprozesses sollte auch ein Forschungsmoratorium für Geoengineering sein dürfen.
Ein bedenkenswerter Vorschlag angesichts der Tatsache, dass solch globale Eingriffe ins Klima womöglich Folgen zeitigen, die sich nicht mehr rückgängig machen oder beherrschen lassen. Und die selbst bei gefährlichen Nebenwirkungen oder explodierenden Kosten langfristig aufrechterhalten werden müssten, weil, wie im Fall von Schwefelpartikeln in der Stratosphäre, ihr Beenden zu einem abrupten Temperaturanstieg führen würde.
Octavio Rosas Landa führt noch ein weiteres gewichtiges Argument ins Feld: Er befürchtet, dass Geoengineering als Ausrede dienen kann, um keine weiteren Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen unternehmen zu müssen.

COP 23

Vom 6. bis zum 17. November findet in Bonn die 23. Uno-Klimakonferenz (COP 23) unter dem Vorsitz von Fidschi statt. Das Konferenzgelände ist in zwei Zonen unterteilt, eine für die Verhandlungen der RegierungsvertreterInnen und eine zur Vorstellung von Klimaschutzinitiativen. Bei den offiziellen Verhandlungen steht unter anderem auf der Agenda, wie das Pariser Abkommen von 2015 im nächsten Jahr und nachfolgend alle fünf Jahre überprüft werden soll. Ein wichtiger Punkt bleibt auch die internationale Finanzierung.
Für Samstag, 4. November, ruft in Bonn eine breite Allianz an NGOs – unter ihnen WWF, Greenpeace, Oxfam, Brot für alle – zur Demonstration für eine entschlossene und gerechte Klimapolitik auf: «Rote Linie gegen Kohle» lautet das Motto. Oder wie es der nigerianische Umweltaktivist Nnimmo Bassey formuliert: «Keep the coal in the hole, keep the oil in the soil» – Kohle und Erdöl müssen unter der Erde bleiben. Radikale Emissionsreduktionen statt Geoengineering.