Respekt für die Liebe

Ende der 1980er Jahre hielt der deutsche Bundestag die Bezeichnungen Lesben und Schwule für „Ausdrücke aus der Gosse“. Er wollte sie in offiziellen Verlautbarungen nicht zulassen – unter dem Vorwand, Homosexuelle vor Diskriminierungen schützen zu wollen. Dabei befürwortete die politisch aktive Szene diese Selbstbezeichnung. Seitdem hat sich einiges getan.

„Wir gehen gerne händchenhaltend durch den Kiez“, erzählt Luita Spangler aus der Neuköllner Hobrechtstraße über sich und ihre Lebensgefährtin. Sie fühlt sich sicher hier und hat noch nie irgendwelche Anfeindungen gegen sich als Lesbe bemerkt. „Als Frau schon“, ergänzt sie.

Auch Ammo Recla von der Beratungsstelle ABqueer erzählt von guten Erfahrungen im Kiez – obwohl auf dem Schaufenster seiner Initiative in der Sanderstraße unmissverständlich steht: „Aufklärung und Beratung zu lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender Lebensweisen.“ Weder vollgesprühte Wände noch Pöbeleien habe es seit Gründung des Ladens vor vier Jahren gegeben. „Hier im Kiez hat sich in den vergangenen Jahren viel getan“, findet Ammo. „Anders als im südlichen Neukölln zeigen sich Lesben, Schwule und Transgender. Sie gehen Hand in Hand über den Markt und bestimmen den Raum mit.“

Mit offenen Augen

Berlin mit seinen bunten Kiezen gilt also zu Recht als offene Stadt für Menschen, egal welche Identitäten und sexuellen Neigungen sie leben? Ja und nein. Uwe Löher, Kriminalhauptkommissar und Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Berliner Polizei sagt zwar: „Als Lesbe und Schwuler lebt man in Berlin sicher.“ Doch er rät, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, um mögliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

Im vergangenen Jahr hat die Berliner Polizei 66 Straftaten wegen „Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung“ registriert, dabei handelte es sich in acht Fällen um lesbenfeindliche Angriffe auf Frauen. 25 dieser Delikte waren Gewalttaten wie Raub oder Körperverletzung. In Neukölln wurde 2008 eine einzige Gewalttat gemeldet.

Bei den geschätzten 300.000 bis 400.000 Berliner Lesben und Schwulen sind das äußerst niedrige Zahlen. Doch Löher betont, dass es sich nur um einen kleinen Ausschnitt dessen handelt, was tatsächlich passiert. Denn die meisten Taten werden überhaupt nicht zur Anzeige gebracht.

Aus der Rolle fallen

Der Soziologe Bastian Fink vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt in Schöneberg geht aufgrund von zwei Umfragen von einem Dunkelfeld aus, dass bei über 90 Prozent liegt. Maneo erfasst berlinweit strafrechtlich relevante Taten gegen schwule und bisexuelle Männer – 2008 wurden mehr als dreimal so viele strafrechtlich relevante Taten angezeigt als bei der Polizei. Mehrere Jugendliche schlugen im vergangenen Jahr zum Beispiel einen schwulen Mann mit einem Teleskop auf die Beine, der die Donaustraße entlang ging, berichtet Fink. „Aufgrund seiner Kleidung und seines Ganges wurde er als feminin eingeschätzt.“ Die jugendlichen Täter hätten das Aus-der-Rolle-Fallen des Mannes als Provokation empfunden, das ihrem eigenen
Rollenverständnis völlig widersprach.

Der Vorfall in der Donaustraße war einer von vier homophoben Gewalttaten, die maneo 2008 aus Neukölln gemeldet wurden. „Die Angst bei einer Anzeige von der Polizei belächelt zu werden oder Nachteile davon zu tragen, sitzt noch immer tief“, erläutert Bastian Fink. Auch Hauptkommissar Löher weiß, dass seiner Behörde noch immer der § 175 nachhängt, durch den Homosexuelle in der BRD strafrechtlich verfolgt werden konnten. Die Polizei hat sich inzwischen von einer Verfolgungs- zu einer Schutzbehörde entwickelt. Löhers Apell lautet denn auch, bei homophobem Verhalten unbedingt Anzeige zu erstatten, um den Tätern ein deutliches Stopp-Signal zu setzen.

Der Text erschien im Dezember 2009 in der Neuköllner Kiezzeitung reuter.