»Sie mögen diese Farbe nicht«. Asylbewerber in Spandau (ND 2008)

Ein hoher Zaun, eine Eisentor. Ein Pförtner kontrolliert den Zugang: „Zu wem wollen Sie?“, „Zu Edward Lino*, bitte“, „Da lang, zweiter Stock!“. Zugang erhält man nach Voranmeldung oder wenn man den Namen eines Bewohners nennen kann.

Auf dem Gelände stehen fünf dreistöckige Containerbauten und ein Bürogebäude, in einer Ecke gibt es einen kleinen Spielplatz für die Kinder. Die Wohnblocks sind hellgrau, die langen Gänge im Innern hellgelb gestrichen, auf den Türen stehen Zahlen: „3111“, „3112“, „3113“ zum Beispiel und eine Quadratmeterangabe. An der Tür 3113 steht „12,18 qm“.

Seit 1995 wird es von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Auftrag des Senats als Erstaufnahmeheim für Flüchtlingen im Asylverfahren genutzt. Mit Rückgang der AsylbewerberInnenzahlen konnte die Gesamtkapazität jedoch nicht mehr ausgelastet werden, man suchte nach Alternativen. Seitdem weisen die Berliner Bezirke Flüchtlinge, die sich unkooperativ zeigen, in die Motardstraße ein. Vermutliches Kalkül sei, kritisieren Flüchtlingsgruppen, die Menschen zu einer „freiwilligen Ausreise“ zu motivieren, bzw. sie zu bewegen, an ihrer eigenen Abschiebung mitzuwirken. Außerdem muss der Senat der AWO, laut Vertrag, pro Tag 9,27 EUR für jeden nicht belegten Platz zahlen. ein gutes Drittel der momentan 459 BewohnerInnen befinden sich nicht im Asylverfahren. Während für Flüchtlinge im Asylverfahren die Aufenthaltsdauer in der Motardstraße auf drei Monate begrenzt ist, gibt es für diese Menschen keine zeitliche Beschränkung.

Tür 3113: Edward Lino wohnt seit eineinhalb Jahren hier. Edward Lino ist Zeuge Jehovas. Die christliche Bevölkerung Sudans sollte, nach Ansicht muslimischer Gruppen, zum Islam konvertieren und die arabische Sprache lernen – Lino floh. Sein größter Fehler, als er endlich in Deutschland ankam, war, dass er die Polizei rief, um Asyl zu beantragen. Die Polizisten nahmen ihn mit und steckten ihn ins Abschiebegefängnis Köpenick, erzählt er. Dort verbrachte er viereinhalb Monate. Es spricht viel Bitterkeit aus seinen Worten, wenn er sich an seine erste Nacht im Polizeigewahrsam erinnert, wenn er an die Holzpritsche und die gefließten Wände in der Zelle denkt – Das Erste, was er von Deutschland sah.

„Doch hier ist es schlimmer als in der Abschiebehaft“, sagt Edward Lino plötzlich, schaut aus ehrlichen Augen, wartet auf eine Reaktion. Er sitzt in Strümpfen und einem gelben Poloshirt auf einem einfachen Holzstuhl. „Ich habe hier keine Freude mehr“, erklärt er, „im ganzen Haus gibt es keine Freude. Das war in der Abschiebehaft besser, da hatten wir wenigstens eine Tischtennisplatte und konnten Basketball spielen. Das gibt es hier nicht“. So bleibe er fast den ganzen Tag in seinem Zimmer, dass sie sich zu zweit teilten. Er schlafe viel, lese die Bibel oder schaue Sportberichterstattung im Fernsehen. Ohne Fernseher oder Radio wäre er schon längst verrückt geworden, sagt er.

Das Heim liegt abgelegen, sodaß es für die BewohnerInnen schwer ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Das nächste öffentliche Telefon befindet sich im U-Bahnhof Paulsternstraße, der nächste Supermarkt ist vier Busstationen entfernt. Fahrkarten können sich die meisten der BewohnerInnen nicht leisten. Edward Lino bekommt 161 Euro im Monat. Dafür müsse er Lebensmittel, aber auch Seife, Toilettenpapier und Rasierzeug einkaufen. Die vier Euro zwanzig für zwei Fahrkarten könne er daher meist nicht finanzieren. Andere BewohnerInnen bekommen Fertigessen der Firma Dussmann und darüber hinaus ein Taschengeld von meist 40 Euro.

Für Benedikt Lux (MdA) von Bündnis90/Die Grünen ist klar: „Die Menschen, die sich nicht im Asylaufnahmeverfahren befinden, gehören nicht hier hin, sondern in Wohnungen und sollen sich selbst verpflegen können“. Es gäbe genug freistehenden Wohnraum, der dafür genutzt werden könnte, sagt Lux. Da sowohl der Mietvertrag, als auch der Versorgungsvertrag mit der AWO Ende des Jahres auslaufen, fordern Flüchtlingsgruppen eine Schließung des Heims zu diesem Zeitpunkt. „Alle Optionen werden momentan geprüft“, heißt es dazu bisher aus der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

Für den April hat das „Bündnis gegen Lager“ mehrere Aktionen gegen „das Lager Motardstraße 101a“ und gegen die Einweisungspraxis der Bezirke angekündigt. Speziell wolle man sich dabei auf Marzahn-Hellersdorf und Pankow konzentrieren, die beide verhältnismäßig viele Menschen in die Motardstraße einweisen.

Edward Lino wurde vom Sozialamt Spandau hier eingewiesen. Auf Erfahrungen mit den Sachbearbeitern dort angesprochen, zeigt er auf seinen Unterarm. „Sie mögen keine Fremden und sie mögen diese Farbe nicht“.

 

*Der Name wurde auf Wunsch geändert