Die Heilkraft der Ameise

Mitten im dicht besiedelten Reuterkiez in Neukölln lebt und wirkt der Insektenforscher Stefan Heinze – besser bekannt unter seinem Künstlernamen Inox Kapell. Vor drei Jahren gründete er das Insekteum: ein Ort für Insekten (allerdings: keine Lebendhaltung!), für Musik und Kunst.


Woher kommt Deine Liebe zu den Insekten?

Ich hatte ganz früh schon Erlebnisse mit Insekten, besonders mit
Ameisen. In Ostfriesland, wo ich aufgewachsen bin, gibt es sehr viele
Ameisen. Natur war meine Erfahrungswelt. Irgendwann wollte ich nicht
mehr in die Schule, ich wollte immer nur in der Natur sein.

Ameisen gelten ja als Nutztiere…

Alle Insekten sind Nutztiere! Es gibt keine schädlichen Insekten. Aber
bei Waldameisen weiß man halt, das sind Waldarbeiter. Sie räumen Dinge
auf, die verrotten.

Sind die Ameisen denn deine Lieblingsinsekten? Sie gehören ja zu den wenigen Arten, die Staaten bilden.

Ja, bei ihnen geht es sehr demokratisch zu. Meistens entscheidet das
Volk, nicht die Königin. Aber mein Lieblingsinsekt ist immer das Tier,
das ich gerade finde. Ich versuche mir über jegliches Insekt so viel
Wissen anzueignen wie möglich. Wir können uns ganz viel Kraft durch
die Natur holen. Ich empfehle zum Beispiel Ameisenheilung.

Ameisenheilung?

Innox: Ja, man legt sich in ein Ameisenest und lässt sich
durchpieksen. Die Waldameise ist dafür am besten geeignet, weil sie am
größten ist. Die sticht nicht, sondern beißt und spritzt dann ihre
Säure in die Wunde. Durch die Säure nehmen wir in geringsten Dosen
Informationen auf, auch von Giften wie zum Beispiel Kerosin. Unser
Körper kennt die Infos dann und ist gewappnet. Das funktioniert ganz
ähnlich wie in der Homöopathie.

Hast du das schon mal gemacht?

Ja, ich mache das mit Gruppen. Wenn man das ein paarmal gemacht hat,
merkt man das fast gar nicht mehr.

Du empfiehlst, sich nackt in ein Waldameisennest zu legen?

Ja, nackt. Man kann aber auch mit einer Hand anfangen oder mit einem
Fuß. Das ist ganz toll.

Im Insekteum hälst Du gar keine lebenden Insekten. Warum?

Ich unterstütze keine Lebendhaltung. Ich habe das als Kind gemacht,
und ich glaube, für Kinder ist das gut, um Erfahrungen zu sammeln. Ich
muss ja nur aus der Tür gehen und habe lebende Insekten. Aber es gibt
im Insekteum genug Anschauungsmaterial. Ich sammle auch tote Käfer,
die ich in Harz eingieße. Dann sind sie für die Ewigkeit.

Dein Laden ist ja nun auch voll mit Sachen, die nichts mit Insekten zu
tun haben…

Die ganzen Dinge, die man hier sieht – recycelte Klamotten,
Musikinstrumente oder dieser Schnickschnack – ziehen Leute an. Die
Idee war, meine Sammlung aufzulösen, von Dingen befreit zu sein, einen
Laden damit zu betreiben und gleichzeitig Wissen über die Insekten zu
vermitteln.

Wenn eine Touristin deinen Laden betritt, verwickelst du sie gleich in
ein Gespräch?

Ja, das passiert ganz oft. Aber Kinder und Jugendliche sind viel
freier als Erwachsene: Wenn man denen klar macht, dass Insekten
wichtig sind für uns, dann entsteht bei ihnen ein ganz großes
Verständnis für die Natur. Hier kommen ganz viele Kinder rein, mit und
ohne Eltern, machmal auch mit Lehrern. “Darf ich mal gucken, darf ich
das mal anfassen?”, fragen sie dann. In den Keller trauen sich nicht
alle, weil das ein bisschen horrormäßig ist. Aber wenn sie erst mal
unten sind, wollen sie meistens gar nicht mehr weg.

Was passiert denn im Keller?

Zum Beispiel Musikveranstaltungen und Performances. Manches davon ist
klanglich angelehnt an Insekten, anderes eher elektronisch. Früher
habe ich Insektengeräusche aufgenommen und gesampelt. Heute imitiere
ich eher. Ich singe aber auch über Insekten, auch bei meinen
Führungen. Wenn ich einen Hirschkäfer finde, besinge ich ihn sofort.

Das Interview erschien in voller Länge im August 2009 in der Staddteilzeitung reuter.