»Angela, wir müssen reden«

Immer mehr Bäuerinnen und Bauern fordern gemeinsam mit Naturschutzverbänden und Umweltorganisationen einen Systemwechsel in der Landwirtschaft. Gestern endete die zehntägige Sternfahrt »Meine Landwirtschaft« vor dem Bundeskanzleramt.

Jan Wendel aus dem Allgäu ist 1580 Kilometer mit seinem Traktor durch die Republik gefahren. Weitere Startpunkte der Sternfahrt waren Ostfriesland, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern. 50 Aktionen und Veranstaltungen haben die Landwirte von der jungen Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) und dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter gemacht. Gegen Gentechnik, Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft.

Vor dem Kanzleramt in Berlin will Wedel gemeinsam mit rund 200 angereisten Bäuerinnen und Bauern seine Forderungen überbringen. »Anderthalb Prozent der größten Betriebe in Deutschland kassieren zusammen ein Drittel der Direktzahlungen aus der EU. Ein Viertel der kleinsten Betriebe erhält dagegen weniger als ein Prozent. Honoriert werden nicht Arbeit und gesellschaftliche Leistung, sondern Flächenbesitz«, kritisiert der Landwirt und fordert: »Direktzahlungen müssen auf 150 000 Euro pro Betrieb im Jahr begrenzt und an Arbeitsplätze sowie an ökologische Kriterien gebunden werden. Das heißt Fruchtfolgen statt Monokulturen, eigener Eiweißpflanzenanbau statt Gentechniksoja aus Übersee, Erhalt von Grünland und Weidevieh.«

Gesunde Tiere für gesunde Ernährung – die Angereisten machen immer wieder den Brückenschlag zu den Verbrauchern, mit denen sie gemeinsam im Januar in Berlin demonstriert haben. Damals waren es 20 000 Menschen, die für einen Systemwechsel in der Landwirtschaft auf die Straße gingen. Im Anschluss daran haben sich regional verschiedene Bündnisse gebildet, die politisch weiter »an den großen Schnittmengen« arbeiten, wie es Johanna Böse-Hartje aus Verden nennt. Die Milchbäuerin kritisiert vor allem, dass »Bauern zu reinen Rohstofflieferanten der Industrie« werden. »Konzernzentralen entscheiden darüber, was auf den Höfen zu welchen Preisen erzeugt wird, und die Agrarpolitik unterstützt das noch.«

Der geforderte Systemwechsel in der EU-Agrarpolitik beinhaltet auch ein Verbot von Exporten – wie Schlachtabfälle –, die Kleinbauern in Entwicklungsländern existenziell bedrohen. King David Amoah aus Ghana, Landwirt und Vertreter des westafrikanischen Bauernverbandes, fordert ebenfalls einen Stopp der Dumpingexporte aus Europa: »Wir brauchen keine Hilfe, sondern faire Preise.« In der EU schwer absetzbare, »minderwertige« Teile von Geflügel und Schweinen überschwemmen noch immer weit unter den dortigen Erzeugerpreisen den Markt in Westafrika. Für die hiesige Fleischindustrie ist diese Form der »Entsorgung« ein lukratives Zusatzgeschäft. Für die Kleinbauern vor Ort bedeutet die billige Tiefkühlware oft das Aus und verhindert die Entwicklung nationaler und regionaler Märkte und Versorgungsstrukturen.

Beteiligt haben sich an den Protesten auch Krabbenfischer aus Ostfriesland. Dirk Sander aus Greetsiel sieht viele ähnliche Probleme bei der bäuerlichen Landwirtschaft und der handwerklichen Fischerei. »Die Großbetriebe kaufen unsere Kutter auf und fischen das Meer leer, die Konzerne haben das Sagen«, kritisiert er. Deswegen haben die Krabbenfischer mehrere Wochen gestreikt. »Wer weiter unsere Preise ruiniert, wird bald keine Kutter mehr in diesem idyllischen Hafen einlaufen sehen und keine Kuh mehr hier auf der Weide«, so Sander.

Bisher habe die Bundesregierung eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik blockiert. »Das ist politisch gewollt und wird gefördert«, sagt Hubert Weigert, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Sie agiere überwiegend im Interesse von Agrarindustrie und Großgrundbesitzern. Damit würden nicht nur bäuerliche Existenzen zerstört, »sondern das schadet auch unserem Klima, unserer Umwelt und verursacht dadurch hohe gesellschaftliche Kosten«.

EU-Agrarkommissar Dacian Ciolo hatte für eine vorsichtige Umsteuerung und mehr Umwelt- und Sozialverträglichkeit plädiert. Aus Berlin und anderen Hauptstädten der EU kommt dagegen massiver Widerspruch. Im Juni sind die Sternfahrer bei Kanzlerin Angela Merkel eingeladen. Sie sei »sehr interessiert«, hatte sie in einem Brief verlauten lassen. Die Bauern machten gestern klar: »Angela, wir wollen nicht nur reden, wir wollen auch Taten.«