«Ich weiss nicht, ob mein Nachbar diesen Raps anbaut» (WOZ 15/2015)

Dank neuer gentechnischer Methoden lassen sich Pflanzen aus dem Labor oft nicht mehr von ihren natürlichen Verwandten unterscheiden. Behörden in der Schweiz und in der EU arbeiten bereits an einer Neudefinition von Gentechnik.

In Deutschland könnte bald eine neue, herbizidresistente Rapssorte auf den Äckern stehen. Umweltverbände laufen dagegen Sturm: Der Raps der US-Firma Cibus sei ein gentechnisch veränderter Organismus. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hingegen beschied Anfang Februar, dass es sich beim sogenannten RTDS-Verfahren von Cibus um keine Gentechnik im Sinn des Gesetzes handle. Tatsache ist: Im neuen herbizidresistenten Raps lassen sich keine artfremden Gene nachweisen.

Innert weniger Jahre sind in Laboratorien weltweit neue gentechnische Methoden entwickelt worden, deren Anwendungsmöglichkeiten die Gentechnikdebatte neu aufrollen: Welche Organismen sollen überhaupt als gentechnisch verändert gelten? Eine Frage, die auch die Schweiz betrifft – nicht nur, weil 2017 das Gentechmoratorium ausläuft.

Gezielt ausgelöste Mutationen

Die US-Firma Cibus bezeichnet die von ihr entwickelte und patentierte RTDS-Technik als «nicht transgenes Züchtungsverfahren», bei dem «die Zellfunktionen auf natürliche Weise modifiziert werden». Dennoch ist ihr Raps alles andere als natürlich hergestellt, da synthetische DNA-Abschnitte in die Zellen eingeschleust worden sind. Diese künstliche DNA ist aber im Endprodukt nicht mehr vorhanden, und Cibus argumentiert, dass die Herbizidresistenz auch in einem klassischen Züchtungsverfahren hätte erzielt werden können. Das strittige Verfahren ist in der Molekularbiologie als Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese (ODM) bekannt: Durch die manipulierte DNA werden zelleigene Reparaturmechanismen aktiviert, die an definierten Stellen im Erbgut Mutationen auslösen (vgl. «Neue Züchtungsverfahren» im Anschluss an diesen Text).

«Die zellulären Mechanismen, die jeweils zur Mutation führen, sind nicht völlig verstanden», schreibt die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit, ein das BVL beratendes, ehrenamtliches ExpertInnengremium, über ODM – trotzdem kommt sie zum Schluss, dass es sich bei den mithilfe dieses Verfahrens entwickelten Pflanzen nicht um gentechnisch veränderte Organismen handle. Sie begründet dies mit dem Argument, die Mutationen hätten auch auf andere Weise entstehen können.

Christoph Then, Geschäftsführer des gentechnologiekritischen Vereins Testbiotech, hält es hingegen für problematisch, dass die Prozesse in der Zelle nicht gänzlich verstanden werden. «Wenn es ähnliche Stellen im Erbgut gibt, könnten sich die DNA-Abschnitte auch woanders anlagern», so Then. «Um eine solche Veränderung zu bemerken, müsste man das gesamte Erbgut untersuchen, was man bei dem Verfahren in der Regel nicht macht.» Für ihn ist klar, dass man im Fall von ODM von Gentechnik sprechen muss. Er beruft sich dabei auf die Bestimmungen der EU-Freisetzungsrichtlinie, gemäss der «Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das ausserhalb des Organismus zubereitet wurde», zur Gentechnik zählen.

Der Verein Testbiotech nennt ODM zusammen mit anderen neuen Techniken «Synthetische Gentechnik», analog zur Synthetischen Biologie, die mit künstlich erzeugten Bausteinen des Lebens operiert. Die Verfahren der Synthetischen Gentechnik seien so neu, dass es entweder keine ausreichende Datengrundlage für eine Risikobewertung gebe oder sie nie systematisch auf Risiken untersucht worden seien.

Für Eva Gelinsky von der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit geht es deshalb um eine risikoethische Diskussion: «Wie gehe ich mit dem Unwissen um? Nach EU- und schweizerischer Gesetzgebung ist da ein schrittweises Vorgehen vorgesehen.»

Von einem schrittweisen Vorgehen kann bei dem vorschnellen Bescheid des BVL an die Firma Cibus aber keine Rede sein. Eine wissenschaftliche Begleitung der Freisetzung ist hier nicht vorgesehen. «Es gelten keine Abstandregelungen, keine Kennzeichnungspflicht und kein Standortregister. Ich kann nicht wissen, ob mein Nachbar den Raps anbaut», sagt Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Einmal ins Freiland gebracht, könnte der Raps daher schon nicht mehr rückholbar sein, zumal er schnell auskreuzt und Rapssamen über lange Zeit im Boden überdauern.

«Meiner Meinung nach geht es bei der Diskussion darum, Präzedenzfälle zu schaffen», sagt Gelinsky. Das sieht auch Annemarie Volling so: «Es gibt viele neue biotechnologische Verfahren, deren Status noch unklar ist. Wenn sie als Gentechnik eingestuft würden, hätten die Unternehmen mit der Ablehnung durch die Bevölkerung zu rechnen.»

Christoph Then hält den herbizidresistenten Raps für ein relativ triviales Beispiel, das weitreichende Konsequenzen haben könnte. «Wenn die Industrie erst einmal einen Freifahrschein für die Technologie hat, ist nicht mehr nachvollziehbar, wie und wie oft etwas verändert wurde.» ODM könnte mehrfach angewandt werden, so könnten sukzessive auch grössere Abschnitte des Erbguts verändert werden.

Die Cisgenese-Kartoffel

Auch in der Schweiz steht die Freisetzung einer mit gentechnischen Methoden gezüchteten Pflanze bevor, einer gegen Kraut- und Knollenfäule resistenten Kartoffel. Ursprünglich wurde diese an der Universität Wageningen in den Niederlanden entwickelt, nun will die landwirtschaftliche Forschungsanstalt Agroscope sie auf ihrem Versuchsfeld in Reckenholz in Zürich freisetzen. Im November 2014 hat sie dafür ein Freisetzungsgesuch an das Bundesamt für Umwelt (Bafu) gestellt. Stimmt das Bafu zu, könnte der Versuch schon in wenigen Wochen beginnen.

Die Kartoffel wurde mittels Cisgenese entwickelt. Bei diesem Verfahren wird zwar kein artfremdes Erbmaterial verwendet, aber Gene werden gleichsam im Reagenzglas kombiniert und auf künstlichem Weg wieder in den Organismus eingeschleust. Die Folgen der Cisgenese seien daher so wenig einschätzbar wie bei der Transgenese, kritisiert die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG).

Die Kernfrage der Debatte um Verfahren wie ODM oder Cisgenese ist, ob gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in Zukunft prozess- oder produktorientiert bewertet werden sollen. Bei einer produktorientierten Definition geht es nur darum, ob sich am Ende fremde Gene in der Pflanze oder dem Lebensmittel nachweisen lassen. Ein prozessorientierter Ansatz erfasst auch Verfahren, bei denen nur vorübergehend artfremdes oder künstliches Erbmaterial eingeschleust wird, etwa um den Züchtungsprozess zu beschleunigen.

Der Biotechnologiebranche käme eine produktorientierte Definition sehr entgegen. Die US-Firma Cibus etwa wirbt auf ihrer Internetseite damit, dass ihre Produkte nicht transgen und somit weltweit akzeptabel seien. Im Kontext der laufenden Diskussionen um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP geraten so auch europäische Zulassungsbehörden unter Druck. «Befürworter der neuen Züchtungsverfahren argumentieren, eine restriktive Handhabung würde zu Problemen führen», sagt SAG-Geschäftsführer Paul Scherer.

Es geht nebst dem Handel vor allem darum, wie die mittels neuer Züchtungsverfahren hergestellten Pflanzen deklariert werden müssten und wie man ihre gentechnische Veränderung überhaupt nachweisen kann. In Brüssel wird zurzeit beraten, nach welchen Züchtungsverfahren Pflanzen gemäss der Freisetzungsverordnung als Gentechnik gelten sollen und nach welchen nicht. Eine Tendenz will die EU-Kommission noch nicht angeben.

In der Schweiz beschäftigt sich das Bafu aktuell mit einer Bewertung der neuen gentechnischen Methoden. Derweil scheint die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS) bereits vorwegzunehmen, dass sich die EU für eine produktorientierte Definition entscheiden dürfte: «Landwirte in der Schweiz werden nicht nur wegen des aufwendigen Bewilligungsverfahrens für GVO diskriminiert, sondern auch weil in der Schweiz entwickelte, als gentechnisch verändert regulierte Pflanzen erst viel später für den Anbau verfügbar wären», schreibt sie im Januar 2015 in ihrem Bericht zu neuen Pflanzenzuchtverfahren.

«Die Fachkommission für biologische Sicherheit schlägt einen Wechsel von einer prozess- zu einer produktorientierten Bewertung vor», sagt Scherer. Gleichzeitig plädiert sie dafür, nicht auf die Entscheidung der EU zu warten. Bei abweichenden Definitionen, so Scherer, «müsste eine Informationspflicht bestehen, mit welchem Verfahren eine Sorte gezüchtet wurde, die Deklarationspflicht müsste dementsprechend ausgedehnt werden. Das ist sehr kompliziert und aufwendig und wird daher von gewissen Kreisen nicht gewünscht.»

Ohne ausreichende Diskussion

Für Eva Gelinsky wäre eine produktorientierte GVO-Deklaration das Worst-Case-Szenario für eine biologisch orientierte Landwirtschaft. «Biohersteller haben einen prozessorientierten Ansatz. Im Fall einer produktorientierten Deklaration hätten sie mit Saatgut zu tun, von dem sie nicht wüssten, wie es hergestellt wurde. Und achtzig Prozent des Saatguts in der Schweiz kommen aus der EU.»

Umwelt- und Bioverbände sprechen sich schon seit längerem gegen die neuen gentechnischen Verfahren aus. Gegen den Freibrief des BVL für den Cibus-Raps hat ein Zusammenschluss von fünfzehn Verbänden Widerspruch eingelegt. Allerdings macht die Komplexität der biotechnologischen Verfahren die Debatte schwer zugänglich für eine breitere Öffentlichkeit. So besteht das Risiko, dass Biotechnologiefirmen auf eine schnelle Entscheidung drängen, bevor das Thema überhaupt hinreichend öffentlich diskutiert werden konnte.

Neue Züchtungsverfahren

Cisgenese: Anders als bei der Transgenese, die artfremde Gene in einen Organismus schleust, arbeitet die Cisgenese mit Genen der eigenen Art, zum Beispiel aus wild vorkommenden Verwandten.

Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (ODM): Über kurze, synthetisch veränderte DNA-Abschnitte (mit einer Länge von zwanzig bis hundert Nukleotiden) sollen Veränderungen in der Zelle ausgelöst werden. Die DNA-Abschnitte aktivieren einen zelleigenen Reparaturmechanismus und werden selbst nicht dauerhaft eingebaut.

Genscheren (zum Beispiel Crispr-Cas, Talen, Zinkfingernukleasen): Die DNA wird mithilfe von Enzymen gezielt an bestimmten Stellen zerschnitten. Entweder werden dadurch Mutationen an der Stelle ausgelöst oder es können neue DNA-Abschnitte eingebaut werden.

Eingriff in die Genregulierung: Durch den Botenstoff RNA wird die Aktivität der Gene eines Organismus verändert. Gene können ein- oder ausgeschaltet werden.

Pfropfen mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO): Der Wurzelstock eines Obstgehölzes zum Beispiel wird gentechnisch verändert, die daraufgepfropften Reiser jedoch nicht. Die Früchte wachsen an den gentechnisch unveränderten Zweigen, daher ist umstritten, ob sie als GVO gelten sollen.