„Weil die Erinnerung nicht sterben darf“

Berliner Schüler machen das Leben einer Überlebenden des KZ Ravensbrück zum Thema eines Hörspiels.

Ravensbrück 60 Jahre nach der Befreiung: Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers lässt sich eine Gruppe von Schülern der Friedrich List-Oberschule aus Berlin-Pankow die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge erklären. „Hier kamen die Frauen an, wurden registriert, mussten sich waschen und bekamen die Häftlingskleidung,“ erklärt Mario Gruschinske. Kalter Wind schlägt den Jugendlichen ins Gesicht, kriecht unter die Kleidung. Für die Schülerinnen und Schüler ist dies kein normaler Schulausflug, die Gruppe hat sich auf die Spurensuche des Lebens von Barbara Reimann-Dollwetzel, einer Überlebenden gemacht.

Barbara Reimann wird am 29. Januar 1920 in Hamburg geboren. Ihre Eltern sind politisch aktiv: Barbaras Vater ist 1919 einer der Mitbegründer der Kommunistischen Partei in Hamburg. Er wird bereits im September während einer Inhaftierung ermordet. Barbaras Mutter ist seit 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei und arbeitet für die Rote Hilfe und die Internationale Arbeiterhilfe. Barbara selbst sammelt seit 1933 Geld für politisch Verfolgte, die abgetaucht sind und schreibt ab 1939 Anti-Kriegsbriefe an Soldaten. Als einer der Briefe der Gestapo in die Hände fällt fliegt ihre Jugendorganisation durch einen Spitzel auf und Barbara wird im Juni 1943 verhaftet, von der Gestapo verhört und fast en Jahr in Hamburg-Fuhlsbüttel inhaftiert. Sie muss einen Schutzhaftbefehl unterschreiben – Wehrkraftzersetzung, Vorbereitung zum Hochverrat und Abhören ausländischer Sender. Ihre Akte trägt den Vermerk „RU“: Rückkehr unerwünscht. Über Lübeck und das Gerichtsgefängnis in Neustrelitz kommt die 24-jährige Barbara im April 1944 zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Patentante in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Sie überlebt Lager und Todesmarsch gemeinsam mit ihrer Mutter. Ende 1946 geht Barbara nach Ostberlin. Sie arbeitet in der Zentralverwaltung für Gesundheitswesen und im Generalsekretariat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Seit den 1970er Jahren verstärkt Barbara Reimann ihr Engagement in der Lagergemeinschaft Ravensbrück – als Zeitzeugin tritt sie in Ravensbrück und in Schulen auf.

So sind auch die Schüler aus Pankow auf die Zeitzeugin gestoßen. „Einige von uns haben Frau Reimann bereits bei Projekttagen Frühling vergangenen Jahres kennen gelernt. Ihre Persönlichkeit und ihr politisches Engagement im hohen Alter haben uns sehr beeindruckt“, sagt Steffi

Im Rahmen des ARADI-Projektes (Antirassistische und demokratische Initiative) an der Pankower Schule wollen die Jugendlichen gemeinsam mit der Globalen Medienwerkstatt das Leben von Barbara Reimann in einem Hörspiel verarbeiten. Um diesem Leben näher zu kommen, sind sie für drei Tage nach Ravensbrück gefahren. Die Erwartungen sind hoch. „Ich erwarte, dass man nachvollziehen kann, wie die Frauen damals gelebt haben in dem Konzentrationslager, die Atmosphäre und räumlich zu sehen, was Barbara in ihrer Biografie beschreibt“, beschreibt Astrid

Empfindungen und Eindrücke, die sich später in dem entstandenen Hörspiel wiederfinden sollen. Die Kälte fällt ihnen besonders auf. „Und dabei wir sind hier alle gut und warm angezogen und wir können freiwillig wieder gehen,“ sagt die Lehrerin Ilona Nack. Auch die Stille des Ortes, der damals geprägt war vom Schreien der Aufseherinnen und der SS, prägt sich ihnen ein.

Jugendliche wollen Auseinandersetzung

Zwar sind große Teile des ehemaligen Lagers nicht mehr erhalten, die Jugendlichen sind trotzdem froh über diese Art der Auseinandersetzung. „Ich kann mir jetzt vielleicht ein wenig vorstellen, was die Frauen hier durchmachen mussten“, berichtet Jenny. Vorstellungen von Willkür und Gewalt dagegen sind schon schwieriger. „Trotzdem glaube ich, dass es ganz wichtig für uns war hier zu sein, um gewisse Dinge in dem Buch vielleicht besser verstehen zu können“, sagt Marie-Luise.

Nach dem Besuch des Konzentrationslagers beginnt die eigentliche Arbeit – Schreibwerkstatt, Recherche, Sprechen fürs Radio. Nach und nach entsteht ein komplettes Hörspiel, eine Mischung aus nachgestellten Szenen und der eigenen Auseinandersetzung, unterstützt von dem Projekt Globale Medienwerkstatt. Deren Ziel ist, Schülern durch längere Medienprojekte einen tieferen Einblick in die Arbeitsweise von Medien zu ermöglichen. „Thematisch kann das alles sein, vom ersten Verliebtsein bis hin zu solchen Themen wie der Nationalsozialismus“, sagt Thomas Guthmann, einer der Initiatoren. Wichtig ist ihnen, Inhalte mit Medienkompetenz zu verbinden. „Der richtige Umgang mit Medien ist zu einer Schlüsselkompetenz geworden,“ ergänzt seine Kollegin Birgit Marzinka. „Medienkompetenz bedeutet auch, die Medien zu nutzen und damit demokratisch zu handeln.“

Für die Schülerinnen und Schüler aus Pankow war das Projekt erfolgreich: „Es war schwierig, das Interview und die Biografie mit Frau Reimann hörbar umzusetzen. Wie kann man überhaupt ein Leben, das wir selbst nicht gelebt haben, hörbar darstellen?“ Trotz der Schwierigkeiten sind sie überzeugt von ihrer Arbeit, weil „die Erinnerung an die NS-Zeit nicht sterben darf“.