Wo geht es hier zur Camcorder Revolution?

Die Welt verändern, ohne die Fernsehsender zu übernehmen? Vier Tage lang standen in Köln die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Videoaktivismus auf dem Programm

Vor zwanzig Jahren kam der erste Video-Camcorder auf den Markt, knapp zehn Jahre später der erste digitale Camcorder. Was als Unterhaltungselektronik für den privaten Massengebrauch gedacht war, hat längst eine neue Weltöffentlichkeit geschaffen, wie zuletzt die Amateuraufnahmen des Tsunami zeigten: Sie waren nicht nur Grundlage der weltweiten Fernseh-Berichterstattung, sondern haben auch über das Internet globale Verbreitung gefunden. Auch die weltweiten sozialen Bewegungen nutzen die neuen digitalen Möglichkeiten der Bildproduktion und -distribution, um die blinden Flecken der öffentlichen Wahrnehmung auszuleuchten.

Das Symposion Camcorder Revolution versammelte jetzt eine illustre Runde aus arrivierten Fernsehredakteuren, politischen Dokumentarfilmern und Videoaktivisten. Eingeladen hatten die SK Stiftung Kultur, die Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NRW und das Haus des Dokumentarfilms.

Es ist ein Klassiker der Mediengeschichte: Im März 1991 wurde der Schwarze Rodney King in Los Angeles von vier weißen Polizisten auf offener Straße brutal zusammengeschlagen, ein Anwohner nahm die Szene mit seiner Videokamera auf. Das Band wurde weltweit ausgestrahlt, die Kamera mutierte zum mächtigen „public eye“, das die Praxis rassistischer Polizeigewalt dokumentiert, die sonst im Verborgenen passiert. In diesem Zusammenhang wird auch von der „Camcorder Revolution“ gesprochen: noch der hinterste Winkel der Welt steht unter Beobachtung.

Und anders als die düstere Orwellsche Phantasie von der totalen Überwachung, sehen politische und soziale Initiativen hier eine Möglichkeit zur Kontrolle von Gewalt und Willkür. Dieses Konzept verfolgt beispielsweise witness.org. Die nichtstaatliche Organisation stattet Aktivisten und Betroffene mit Kameras aus, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Die Aufnahmen werden als Beweismaterial bei Gerichtsverhandlungen eingesetzt und informieren die lokale, nationale oder internationale Öffentlichkeit. Denn was als Bild dokumentiert wird, kann nicht mehr ignoriert werden. Oder wie es Oliver Lerone Schultz von laborB im Anschluss an McLuhan ausdrückt: Durch die Kamera kommt die Realität so nahe, dass keine Distanz mehr möglich ist und man sich dazu verhalten muss.

Camcorder als Werkzeug der sozialen Bewegungen
Spätestens durch die Entwicklung erschwinglicher Mini-DV Camcorder kann jeder sendefähiges Filmmaterial produzieren und anschließend auf dem heimischen PC montieren. So entstand in den letzten Jahren eine vielfältige und internationale Videoaktivisten-Szene mit verschiedensten Gruppen und Initiativen, die das Internet als internationale Vertriebsplattform nutzen. Aber auch junge und traditionelle politische Filmfestivals nutzen die Produktionen, um für die Filme und ihre Themen einen öffentlichen Raum zu schaffen.

Die direkte Verbindung von Bilderproduktion und ihrer weltweiten Bereitstellung durch das Internet macht die Camcorder Revolution, z.B. für die Regisseurin Katerina Cizek, zur „biggest revolution unil the industrial revolution“. Das mag etwas hoch gegriffen sein, doch ist der digitale Medienverbund auf dem besten Weg, eine selbstbestimmte, internationale Öffentlichkeit jenseits der etablierten und restriktiven Kanäle entstehen zu lassen. Denn auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen zählt auf Seiten der Videoaktivisten kaum jemand.

Darum passiert es auch nicht alle Tage, dass sich gut bezahlte Redakteure des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und die so genannte Subkultur an einen Tisch setzen. Und neben zahlreichen Abgrenzungen gab es auch konstruktive Diskussionen und die Suche nach Gemeinsamkeiten. So stimmte Thomas Leif, Chefreporter des SWR, der Kritik der Videoaktivisten zu, dass im Fernsehen die soziale Wirklichkeit nicht repräsentiert ist. Er zeichnete ein düsteres Bild von einflussreichen Fernsehräten, die partikularen Interessen verpflichtet sind, und harmlosen Redakteuren, denen Haltung und Durchsetzungskraft fehlten, um für politische Themen und Formate zu kämpfen. Und er plädierte vehement dafür, dass auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Platz für „Subkultur“ und subjektive Beiträge sein müsse. Leider wurde keine ernsthafte Diskussion über die Frage geführt, wie das aktivistische Potenzial ganz konkret produktiv gemacht werden kann.

Die verwackelten Bilder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
Die Abgrenzungen liefen entlang des schwammigen Begriffs der „Qualität“. Es wurde in den vier Tagen deutlich, dass die Videoaktivisten trotz immer professionellerer Produktionen immer noch als „nicht gesellschaftsfähig“ gelten, da sie verwackelte Bilder produzieren und handwerkliche Fähigkeiten vermissen lassen. Tatsächlich sind die mangelnde Ausbildung und finanzielle Ausstattung ein Problem. Um es teilweise zu beheben, wurde im Anschluss an das Symposion ein Netzwerktreffen veranstaltet und der regelmäßige Austausch verabredet. Und es wurde auch deutlich, dass sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Zuge der Sparmaßnahmen, z.B. zugunsten von Spektakelveranstaltungen wie der Fußballberichterstattung, qualitativ auf die Videoaktivisten zu bewegt.

So setzt der Hessische Rundfunk seit 2003 Videojournalisten ein, die alle Arbeitsschritte selbst erledigen müssen: Redaktion, Kamera, Ton, Schnitt. Der dafür verantwortliche Redakteur Jan Metzger machte auf dem Symposion aus der Sparmaßnahme flugs einen ästhetischen Mehrwert und sprach vom „neuen Autorenverständnis“: Der Videojournalist sei als Autor zugleich Teil der Geschichte, dessen eigene Sicht auf die Dinge eine große Rolle spiele. Das klingt schon sehr nach Videoaktivismus. Jetzt fehlt nur der richtige Blick auf die gesellschaftliche Realität.

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