Das Happy End gibt es auf der Leinwand

Das Arbeiten im Kino ist nicht so romantisch wie im Film, denn das Personal muss alles können und wird oft schlecht bezahlt. Zur 55. Berlinale droht sogar ein Streik des Kino-Personals

Eine so wunderbare Freundschaft wie die des kleinen Toto mit dem Filmvorführer Alfredo in Guiseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ kann der Filmvorführer Erik Reise nicht vorweisen. Trotzdem ist sein Leben eng mit dem großen Kino verwoben, auch wenn ihn das nicht berühmt macht. Und so melodramatisch wie im italienischen Film ist sein Job denn auch nicht. Kassierer, Kartenabreißer und Filmvorführer in einem – da bleibt keine Zeit, die Filme in dem kleinen Kino Balazs („ausgesprochen wie Gulasch“) in Berlin-Mitte selbst anzuschauen. Gerade noch an der Kasse zu finden, hechtet er kurz vor Filmbeginn die Treppen hoch und verschwindet hinter einer unscheinbaren Tür. Ein ungeduldiger Blick zurück in meine Richtung, dann geht es mehrere Gänge entlang bis in den kleinen überhitzten Vorführraum, der immerhin so aussieht wie bei Alfredo im Film.
Zwei große Filmrollen liegen auf den Bändern, noch läuft der Vorfilm. Geschwind legt der Berliner den Hauptfilm ein. Über mehrere kleine Rollen verliert sich das Band irgendwann in der Maschine – Made in Czecheslowakia. Dann ist der junge Mann auch schon wieder verschwunden, um weiter Karten zu verkaufen. Ich wage einen Blick durch das kleine Fenster in den sich langsam füllenden Kinoraum. Es ist Sonntag nachmittag, die Sonne scheint und draußen feiern die Berliner Karneval – entsprechend wenig Besucher sind gekommen. Dann ist Erik Reise auch schon wieder da. Zwei Knöpfe drückend überprüft er, ob der Film reibungslos anläuft. Der Projektor surrt so laut, dass die Stimmen des Films nur undeutlich herüber schwappen. Der Hauptfilm beginnt, durch die Fensterluke blinzelnd stellt Reise noch die Schärfe ein, schon ist er wieder auf dem Weg an die Kasse.
Vorführer, Kassierer, Einlasskontrolleur und Verkäufer. In den Tarifverträgen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sind diese Tätigkeiten genau aufgeschlüsselt. Erik Reise macht das alles auf einmal – und bekommt dafür 6,40 Euro in der Stunde. Der tariflich festgelegte Lohn allein für das Vorführen von Filmen liegt bei 9,87 Euro. In manchen Berliner Kinos wird das auch gezahlt, manchmal sogar mehr. Meistens aber liegt der Lohn in Erik Reises Bereich.
Seit 1993 gibt es das Kino Balazs im Kinosaal des ungarischen Kulturinstituts. Der im Kern durch vier Kinofreaks gegründete Verein wollte ein ambitioniertes Programm gestalten, bei dem auf kommerzielle Erststarts ganz verzichtet wird. Jeden Monat sollte durch eine Filmreihe ein Schwerpunkt gesetzt werden. Schon zu DDR-Zeiten gab es hier ein Kino. Viele der älteren Besucher erinnern sich daran. „Manche kommen zufällig vorbei und freuen sich, dass es noch da ist“, erzählt Erik Reise.

Das Kinosterben nach der Wende
Nach der Wende war erstmal Schluss – wie bei vielen anderen Kinos bis heute. Insgesamt 30 Lichtspielhäuser wurden in den vergangenen Jahren in der Hauptstadt dichtgemacht. Unlängst hat es mit dem Royal-Palast im Europa-Center eine alte West-Berliner Institution erwischt. Allerdings gibt es auch immer wieder neue Versuche, die sich – neben den großen Multiplexkinos – spezialisieren. Wie etwa im „Krokodil“, wo ausschließlich russische Filme gezeigt werden. Ebenfalls ein Experiment: Berlins erstes Dokumentarfilm-Kino, zu finden im Hinterhof des ehemaligen Zentralantiquariats der DDR in der Rungestraße.
Während in den kleinen meist Ausgefallenes zu sehen ist, gibt es Mainstream-Kino für insgesamt fast 35000 Besucher in Berlin. Allein die verschiedenen Standorte des Cinemaxx bieten 8500 Besuchern einen Platz. Dagegen nehmen sich die 150 Plätze im Balazs ziemlich bescheiden aus. Das rechnet sich vor allem in der Werbebranche. Nach Angaben des Kinowerbers Relita kosten 30 Sekunden Werbung im Cinemaxx am Potsdamer Platz rund 1200 Euro. Im Balazs dagegen sind die 30 Werbesekunden für schlappe 27 Euro zu haben. Allerdings ist es auch für die Besucher günstiger, kleinere Kinos zu suchen.
Gespart wird allerdings überall beim Personal. Nicht nur in kleineren Kinos erhöht sich das Arbeitspensum für das gleiche Geld, bei den Cinemaxx-Kinos geht der Streik um höhere Löhne bereits ins zweite Jahr. In Freiburg, Hannover, Bremen und Trier wurde bereits gestreikt, wie auch in Berlin. Hier ist allerdings keine Vorführung ausgefallen, nicht zuletzt, weil die Betriebsleitung nach Angaben aus Gewerkschaftskreisen selbst die Filmrollen eingelegt hat.
Neueste Entwicklung: Möglichen Streikbrechern wird eine Prämie von 50 Prozent Lohnzuschlag gewährt. „Das ist allerdings nicht die Art der Lohnerhöhung, die wir wollen“, so Dietrich Peters, der im Berlin für die Kinoangestellten bei Verdi zuständig ist. Betriebsrat und Gewerkschaft reagierten prompt: Während der Aktionen in diesen Tagen treten nur zwei bis drei Beschäftigte in den Streik, der Rest kassierte die „Lohnerhöhung“. Auch während der Berlinale schließt Betriebsrat Moritz von Lübken kleinere Warnstreiks nicht aus: „Wir wollen so die Kosten in die Höhe treiben und hoffen darauf, dass wir irgendwann die Geschäftsführung wieder an den Verhandlungstisch bekommen.“ Der Theaterleiter des Cinemaxx am Potsdamer Platz, Ivica Jurak, hofft dagegen, dass die Tarifauseinandersetzungen während der Berlinale zur Ruhe kommen. Eigentlich sei in dieser Zeit ja auch nicht das Cinemaxx der Arbeitgeber, sondern die Berlinale. Allerdings hat er genügend Mitarbeiter vor Ort, damit alles reibungslos läuft.
25 Cent pro Stunde mehr, darüber streiten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften jetzt seit einem Jahr. Bereits 2003 hat Cinemaxx den Arbeitgeberverband verlassen und übt sich seitdem im Kräftemessen mit der Belegschaft. Neueingestellte bekommen seitdem bis zu 20 Prozent niedrigere Löhne. Im Servicebereich heißt das statt 7,41 Euro nur noch 6,50 Euro pro Stunde. Außerdem ist die Mindestarbeitszeit auf drei Stunden gekürzt worden. Zustände, die der Arbeitgeber gerne auf die tarifgeschützten Beschäftigten ausweiten will. Verdi fordert über die 25 Cent hinaus, dass alle Beschäftigten gleich viel Geld bekommen und eine betriebliche Altersvorsorge eingeführt wird, sowie Freistellungen für Aus- und Weiterbildung. Die letzte Tarifrunde war im Dezember gescheitert. Einen neuen Termin gibt es nicht.
Das Cinemaxx ist nicht der einzige Kinoarbeitgeber in Berlin, der mit den Gewerkschaften streitet. Die Yorck-Kinos haben ebenfalls den Arbeitgeberverband verlassen und wollen sich mit den Gewerkschaften über einen Haustarif einig werden. Wenig Geduld zur Einigung zeigte dagegen die Geschäftsführung der UFA/Filmpalast.

Harte Bandagen, glänzende Kulissen
Hier wurde der Betriebsratsvorsitzende nach einem Warnstreik entlassen, andere Beschäftigte erhielten Abmahnungen. Die Entlassung wurde kurze Zeit später zurückgenommen und die Abmahnungen wurden gerichtlich im vergangenen Monat für null und nichtig erklärt. Das Arbeitsgericht Berlin entschied am 11. Januar: „Es lag kein Fehlverhalten des Klägers (Arbeitnehmers) vor, denn die Beteiligung am Warnstreik war rechtmäßig.“ Die letzte Verhandlungsrunde war auch hier ergebnislos im August vergangenen Jahres abgebrochen worden.
All diese Diskussionen gehen an dem Filmvorführer aus dem Balasz vorbei. „Was fordern denn die Kollegen aus dem Cinemaxx?“ fragt er, darauf angesprochen, während er freundlich einem älteren Paar die Kinokarten hinhält. Nun ja, das Gehalt sei bei ihm ja auch nicht hoch, aber die Arbeitsatmosphäre sei gut. Seit vier Jahren arbeitet er im Balazs in Mitte. Vorher war er in zwei Kinos in Charlottenburg, bevor dort das große Kinosterben eingesetzt hat. Bevor er wieder in den Vorführraum verschwindet, erinnert er sich an die kleinen Überraschungen seines Kinoalltags. Wie sich einmal eine Taube in den Kinoraum verirrt hat. Sie war wohl durch den Lüftungsschacht geklettert. „Ich hatte schon den Film eingelegt, und während ich die Schärfe einstellte, sah ich sie vor der Leinwand hin und her flattern.“ Für die Taube gab es natürlich ein Happy-End – sie wurde durch den Notausgang nach draußen geleitet. Schließlich war sie ja im Kino.