Gefühlte Kanzlerschaft

TV-Duell: Wer hat denn nun wirklich gewonnen?

Es war ein Novum in der Fernsehgeschichte: Für 90 Minuten wurden die vier größten öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender zusammengeschaltet, um die Konkurrenten um das Kanzleramt im direkten Vergleich zu erleben. Fast 21 Millionen Menschen sahen zu. Zu größeren Aufregungen kam es dabei nicht, mehr oder weniger solide spulten die Kontrahenten ihren Part herunter. Doch kaum war die Sendung beendet, ging das Gerede erst richtig los.

Flugs wurden sogenannte Expertenrunden gebildet, unablässig traten neue Interviewpartner vor die Kameras, um eloquent im Nebel zu stochern. Dazwischen flimmerten Grafiken mit den neusten Umfragewerten über den Bildschirm und auch dem kleinen Mann auf der Straße wurde mitunter das Wort erteilt. Gesucht wurde die Antwort auf das große Rätsel des Abends: Wer hat denn nun wirklich gewonnen? Die Frage blieb scheinbar unentschieden, eine ideale Voraussetzung, damit das Medium seines Amtes walten konnte: das Geplapper ins Unendliche zu verlängern.

Schon in den Tagen vor dem „TV-Duell“ wurden die Experten erschöpfend zum bevorstehenden Großereignis befragt, zu ihren Erwartungen und Einschätzungen. Eine ganze Armada aus selbsternannten Medienexperten, ehemaligen Wahlkampfplanern, Psychologen, Soziologen, Demoskopen bekamen bereitwillig Sendezeit, um ihre Sicht der Dinge zu vermitteln: Wie wird sich die Herausforderin Angela Merkel im direkten Vergleich mit dem Mediengenie aus dem Kanzleramt schlagen? Kann sie den Menschen draußen im Lande beweisen, dass sie Kanzlerinnerqualitäten hat? Wie wird der Macho Gerhard Schröder mit einer Frau als Widersacherin umgehen? Wird er die hohen Erwartungen an seine telegenen Fähigkeiten erfüllen können? Und wie wird das Ergebnis in die Einstellung der Wählerinnen und Wähler beeinflussen? Fragen über Fragen zur Inszenierung, kaum eine zu politischen Inhalten.

Alle reden und alles bleibt, wie es ist

Das setzte sich auch konsequent in der anschließenden Nachbearbeitung auf allen Kanälen fort. Es wurden ehemalige Wahlkampfleiter und Parteienforscher aufgeboten, zudem Kommunikationspsychologen, Emma- und Brigitte-Chefredakteurinnen sowie Chefredakteure überregionaler Zeitungen befragt. Schon die 90 Minuten Schlagabtausch waren mitunter der Konzentration nicht förderlich, das anschließende Gerede war es noch weniger. Frisch von der Leber weg wurde da mit beliebigen Impressionen Sendezeit gefüllt. Einige Experten zeigten sich überrascht von der Schlagfertigkeit Angela Merkels und sahen sie als heimliche Gewinnerin des Abends. Sie hatten zuvor wohl gedacht, Merkel könne keinen Satz geradeaus sprechen. Anscheinend hatten sie noch keine Bundestagdebatte mit ihr erlebt. Andere wiesen auf den souveränen Auftritt von Gerhard Schröder hin, die nächsten sprachen von einem „Patt“.

Wo schon die Experten so uneinig waren, sollten nun möglichst alle Stände und Klassen ihre Sicht der Dinge erklären. Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um in Live-Schaltungen auch Gewerkschaftsvertretern, mittelständischen Unternehmern und dem kleinen Mann in der Fußgängerzone Gehör zu verschaffen. Insgesamt ging das aufwändige Frage- und Antwortspiel aus wie das Hornberger Schießen: alles blieb, wie es war. Viel Gefühl und wenig Erkenntnis. Den Antworten zufolge scheinen die 90 Minuten TV-Duell vor allem die bestehenden Einstellungen verstärkt zu haben.

Das Medium inszeniert sich selbst

Das erste und einzige direkte Aufeinandertreffen von Merkel und Schröder war offensichtlich nur der Anlass des Fernsehabends. Das eigentliche Ereignis war die mediale Inszenierung selbst. So wurde folgerichtig bei der anschließenden Aufarbeitung eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Statements von Schröder und Merkel vermieden. Es ging nicht um politische Analysen, die vielleicht auch gezeigt hätten, dass sich die programmatischen Unterschiede in Grenzen halten, sondern vor allem um den emotionalen Zugang zu den Kandidaten: Lernt man endlich Angela Merkels „Persönlichkeiten hinter der Fassade“ kennen?

Verschiedenen repräsentativen Umfragen, die direkt nach der Sendung gestartet wurden, scheinen dies zu belegen. Einerseits wird Gerhard Schröder mit großem Vorsprung für kompetenter, glaubwürdiger und sympathischer als Angela Merkel gehalten. Er ist für die Zuschauer mit deutlichem Vorsprung der Gewinner des verbalen Schlagabtauschs. Doch das hat nicht viel zu sagen: In einer weiteren Umfrage erklären 87% der Befragten, dass das „Duell“ ihre persönliche Wahlentscheidung nicht verändert hat. Und das heißt: die CDU wird aller Voraussicht nach die Kanzlerin stellen.

Nur in wenigen Momenten wurde auch einmal Klartext gesprochen: da freut sich ein Fernsehredakteur darüber, dass „der Medienhype, den wir gemacht haben“ so erfolgreich ist. Und ein interviewter Journalist gibt zu bedenken, dass die Wahlentscheidung sich durchaus in einer komplexeren Entscheidungsfindung herausbildet, als nur durch eine Fernsehsendung. So bleibt am Ende eines langen Abends die Erkenntnis übrig: Journalisten und Politiker, zwei nicht sehr angesehene Berufsstände, haben es wieder einmal geschafft, für zwei Stunden die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zu ziehen – und sind damit auch die wahren Sieger.

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