Vom Rauschmittel zum Medikament (Telepolis 05/07)

08.05.2007

Die internationale Drogenkontrolle und das afghanische Opium

In Afghanistan wird auch dieses Jahr eine Rekordopiumernte erwartet. Aus dem Opium wird Heroin vorwiegend für den europäischen Rauschgiftmarkt hergestellt. International mehren sich die Stimmen, die fordern, den afghanischen Schlafmohn für die Herstellung von Medikamenten wie Morphium und Codein zu nutzen. Doch die UN-Drogenkontrollbehörden und die US-Regierung halten nichts von der Idee.

Blühende Landschaften, so weit das Auge reicht. Felder über Felder von Schlafmohn wachsen auf der australischen Insel Tasmanien. Die isolierte Lage und strikte Kontrollen durch das Poppy Advisory & Control Board  des australischen Justizministeriums sollen verhindern, dass Opium auf den Schwarzmarkt gelangt. Auf 13.000 Hektar wächst speziell gezüchteter Mohn auf Tasmanien; sein Wirkstoffgehalt und Ertrag ist deutlich höher als etwa beim afghanischen Mohn. Die Pflanzen werden in Australien, wie auf ähnlichen französischen oder spanischen Plantagen, maschinell geerntet; dem getrockneten Mohnstroh wird chemisch seine Wirkstoffe entzogen, um die Opiate Morphin, Codein und Thebaine für die Pharmaindustrie herzustellen. Rund 110 Tonnen davon hat Australien letztes Jahr produziert. Das entspricht ungefähr 1.100 Tonnen Rohopium – in Afghanistan wurden davon letztes Jahr laut UNO über 6.000 Tonnen geerntet.

Die Verwaltung der legalen und die Kontrolle der illegalen Drogenproduktion werden in Wien geregelt. Hier findet sich einmal die Zentrale des Büro für Drogen und Kriminalität der UNO ( UNODC ). Es ist der operative Arm der Kommission für Betäubungsmittel ( CND) des Wirtschaft- und Sozialrats der UNO ( ECOSOC ). In Ländern wie Kolumbien und Afghanistan arbeitet das Büro daran, die Drogenproduktion zu unterbinden, Prävention zu betreiben sowie eine wirksame Strafverfolgung auszubauen. Ebenfalls in Wien sitzt der Internationale Suchtstoffkontrollrat ( INCB). Er gilt als Hüter der drei internationalen Drogenabkommen, dessen erstes von 1961 das Verbot des Anbaus und Gebrauchs von Schlafmohn, Koka und Hanf für private Zwecke festschreibt. In einem jährlichen Bericht wird festgehalten, inwieweit die Unterzeichnerländer – mittlerweile fast alle Staaten der Welt – die Umsetzung der Abkommen befolgen.

Der Rat regelt aber auch auf das Gramm genau und bestens dokumentiert die Quoten für den legalen Anbau von Koka, Cannabis und Mohn. Staaten müssen jährlich beim INCB den Bedarf an organischen und chemischen Drogenstoffen anmelden, die laut der Drogenabkommen nicht für den privaten Gebrauch zugelassen sind, aber für Forschungszwecke oder die Medikamentenproduktion. So hat das deutsche Gesundheitsministerium für 2007 unter anderem rund 50 Tonnen Opiate beim INCB „bestellt“. Weltweit wurde vergangenes Jahr der Bedarf einer Menge an Opiaten gemeldet, die ungefähr 5.000 Tonnen Rohopium entspricht – fast die Hälfte davon geht in die USA.

Kritiker halten den Suchtstoffkontrollrat für eine Ansammlung von Drogenpolitik-Hardlinern. Der niederländische Drogenforscher Peter Cohen etwa bezeichnet die 13 Mitglieder des Rats als „Kardinäle der Anti-Drogenkirche“, die jegliche Reformationsbestrebung, wie niederländische Coffeeshops oder Fixerstuben, ablehnen würden. Tatsächlich bemängelt der INCB in seinen Jahresberichten regelmäßig jegliche reformistischen Drogenpolitikansätze und drängt darauf, mit harter Hand gegen den Drogenkonsum und -produktion vorzugehen: So empfiehlt er für Afghanistan als erstes die Vernichtung der Schlafmohnfelder. 

Doch vergeblich: Wie letztes Jahr wird die jetzt im Mai beginnende Ernte in Afghanistan wieder über 6.000 Tonnen Opium betragen. Zumindest prognostiziert das UNODC diese Zahlen. Deswegen wirbt die Nichtregierungsorganisation Senlis Council weiter für die Idee, Afghanistan am legalen Opiatemarkt für Schmerzmittel teilhaben zu lassen. Mit ausführlichen Studien scheint sie immer mehr Politiker überzeugt zu haben. Neben Pakistans Präsident Musharraf haben sich in letzter Zeit italienische und englische Abgeordnete dafür ausgesprochen Teile oder die gesamte afghanische Opiumernte aufzukaufen – oder dem Land eben den legalen Anbau einer bestimmten Menge Opium zuzugestehen. Laut dem Independent soll der britische Premierminister Blair Bereitschaft signalisiert haben, diese Möglichkeit zu prüfen. Und selbst auf der EU-Ebene wird anscheinend laut über einen Strategiewechsel nachgedacht.

Grund dafür ist, dass der Kampf gegen den Opiumanbau in Afghanistan kaum Erfolge bringt. Eher im Gegenteil, stellt das Transnational Institute in Amsterdam fest: Das militärische Vorgehen gegen die Opiumbauern und nichteingehaltene Versprechungen treibe diese in die Reihen der militanten Aufständischen. Über drei Milliarden US-Dollar werden laut UNO mit Opiumanbau und -handel verdient, mehr als 45 Prozent des Bruttoinlandprodukts Afghanistans. Knapp drei Millionen Einwohner des Landes sind in die Opiumlandwirtschaft involviert, 13 Prozent der Bevölkerung. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem in der Region üblichen informelle Bankensystem Hawala zu, wie eine ausführliche Studie über die Afghanische Drogenindustrie des UNODC und der Weltbank zeigt. Weiter gilt als sicher, dass die Korruption durch Drogengelder bis in die höchsten Ränge der Regierung reicht – drei der Minister sollen zum Kreis der Drogenbarone gehören.

Angesicht des möglichen Kurswechsel der EU hielt es das US-Justizministerium für nötig, deutlich Stellung zu den Vorschlägen des Senlis Council zu nehmen: Der legale Opiumanbau würde wenig Geld für die Opiumbauern einbringen und sei wenig attraktiv. Weiter sei der legale Opiatemarkt gesättigt, es gebe kein Bedarf an weiteren Nachschub für Schmerzmittel. Und schließlich bestünde die Gefahr, dass die schwache afghanische Regierung einen etwaigen legalen Anbau nicht ausreichend kontrollieren könne – die Gefahr drohe, dass Opium auf den Schwarzmarkt gelange.

Letztes Argument wirkt recht absurd, angesichts einer Opiumernte, die bislang komplett auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird. Ob die wahrscheinlich niedrigeren Preise auf dem legalen Opiummarkt Bauer dazu bringen würde, aus dem Kreislauf der Drogenkriminalität auszusteigen, ist tatsächlich schwer zu vorherzusagen. Pierre-Arnaud Chouvy, der die Website geopium.org betreibt, sieht das Opium nicht als Ursache der unsicheren Lage in Afghanistan, sondern als Folge und Überlebensstrategie der ländlichen Bevölkerung. Dem Opium sei nur beizukommen, wenn die Sicherung alternativer Lebensgrundlagen grundsätzlicher Bestandteil der afghanischen Politik würde. Ähnlich sieht es die deutsche Gesellschaft für technologische Zusammenarbeit (GTZ), die mit alternativen Entwicklungsprojekten wie der Produktion von Rosenöl anstelle von Opium bescheidene Erfolge vorzeigen kann.

Strittig ist auch, ob die globale Nachfrage nach Schmerzmitteln wirklich gedeckt ist. Der Senlis Council beruft sich in einem Report einmal auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine „Schmerzmittelkrise“ festgestellt habe. Und selbst der Suchstoffkontrollrat habe festgestellt, dass vor allem die Regierungen von Entwicklungsländern kaum ihren wirklichen Bedarf an Opiaten melden. Derzeit konsumierten die Industriestaaten über 80 Prozent aller offiziell gemeldeten medizinischen Opiate. Doch selbst in diesen Ländern würde nur ein Viertel der tatsächlichen nötigen opiumbasierten Mittel in Bereichen wie der Krebstherapie oder Palliativmedizin eingesetzt – oft aus Angst vor Abhängigkeit und Missbrauch. Das afghanische Opium sei folglich für den globalen Schmerzmittelmarkt zu gebrauchen. Denn Mengen entsprechend von 10.000 Tonnen Opium wären jährlich notwenig, um die tatsächliche Nachfrage an zu decken, so Senlis Council.

Vielleicht ist der Vorschlag der britischen Hilfsorganisation Spirit Aid der richtige Weg für Afghanistan: Sie hatte in einer Studie die Möglichkeit beschrieben, anstelle des Schlafmohns große Felder mit dem vielseitigen Nutzhanf anzubauen. Doch diese Idee ist bislang auf wenig Gegenliebe gestoßen. Kanadische Truppen klagten schon über undurchdringliche afghanische Hanfwälder, in denen sich die Aufständischen versteckt hielten. Der Hanf sei so feucht, dass er sich nicht einmal mit Hilfe von Phosphor abrennen ließe.

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