Vielfalt verschwindet

Anlässlich der Grünen Woche hat ein Agrarbündnis aus Landwirtschaft-, Umwelt- und Tierschutzverbänden gestern in Berlin seinen »Kritischen Agrarbericht 2011« vorgestellt.

Viel wird in diesen Tagen vom Systemfehler und einem notwendigen Wechsel in der Agrarpolitik gesprochen. Auch das Agrarbündnis mahnt in seinem diesjährigen Bericht eine neue Agrarpolitik an.

Schwerpunkt des Berichtes ist die Vielfalt. So kritisierte Heidrun Betz vom Deutschen Tierschutzbund den »dramatischen Verlust bei der Vielfalt der Nutztiere«. Beim Geflügel beherrschten vier Tierzuchtkonzerne den weltweiten Markt und in Deutschland stammten sowohl bei der Milchviehhaltung als auch bei den Schweinen 97 Prozent der Tiere aus nur vier Rassen. Zudem kritisierte sie, dass der Schwerpunkt der Forschung beispielsweise bei Kühen auf deren Milchleistung liege. »Die Lebenserwartung einer Hochleistungskuh liegt heute nur noch bei fünf Jahren, während die natürliche Lebenserwartung bei 20 Jahren liegt«.

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), sieht die deutsche Agrarpolitik in der Verantwortung. Nur verbal habe sich etwas verändert, in der Realität gehe der Trend weiter Richtung Massentierhaltung. »Die gesetzlich und mit Subventionen geförderte Ausweitung der Massentierhaltung ist nicht nur ein Einfallstor für Dioxin- und andere Risiken, sondern sie ist auch Ursache für das kolossale Versagen hinsichtlich konkreter Klimaschutzziele in der Landwirtschaft«, sagte Weiger. Die Bundesregierung habe zentrale Umweltgesetze bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht. Der BUND-Chef forderte zudem eine offensive Verbraucherpolitik: »Sowohl hier auf der Grünen Woche als auch auf jeder Milchpackung wird den Verbrauchern vorgegaukelt, die Kühe stünden heute noch auf der Weide. Wenn dort gezeigt würde, wie die Tiere tatsächlich gehalten werden, würde sich die Nachfrage schlagartig ändern.«

Die Verbände begrüßten den von EU-Agarkommissar Dacian Ciolos eingeschlagenen Weg, die Subventionen zukünftig verstärkt an ökologische Kriterien und an die geleistete Arbeit zu knüpfen. Da die aktuelle Finanzperiode 2013 endet, wird momentan über Änderungen in den Förderrichtlinien des jährlich mit 55 Milliarden Euro ausgestatteten Agrarbereichs verhandelt. Umweltverbände und die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisierten die Blockadehaltung der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) gegenüber veränderten Richtlinien. Die Landwirtschaftsministerin möchte an den entkoppelten Direktzahlungen ebenso festhalten wie der Deutsche Bauernverband. Dessen Präsident Gerd Sonnleitner reagierte gestern verärgert auf den Agrarbericht: »Vorwürfe, unsere Landwirtschaft würde industrialisiert und wir hätten Massentierhaltung, sind mit den Fakten nicht in Einklang zu bringen.« Landwirtschaft habe sich verändert, aber »nur weil in einem Stall 20 000 oder 30 000 Hähnchen sind, werden sie nicht schlechter gehalten als in einem 1000er-Stall.«

Gleichzeitig sagte er, die Zeiten für billige Lebensmittel seien vorbei. Die Ernährungsindustrie hatte zuvor höhere Lebensmittelpreise wegen der gestiegenen Rohstoffpreise angekündigt. Aigner, die gestern Abend die Agrarmesse offiziell eröffnet, und der Bauernverband schlossen sich dieser Prognose an. »Unsere Kosten für Energie, für Düngemittel, für Betriebsmittel sind enorm gestiegen«, begründete Sonnleitner.

Die Lebensmittelpreise sind seit Jahren im Steigflug. Mit 13 Prozent Teuerung seit 2005 stiegen sie deutlich schneller als die allgemeinen Verbraucherpreise, die um 8,2 Prozent zulegten.

Zahlen & Fakten

Der kritische Agrarbericht erscheint seit 1993 jährlich. Herausgegeben wird das Jahrbuch vom Agrarbündnis, in dem sich 24 Verbände aus der Landwirtschaft, Tierschutz, Umweltschutz und Entwicklungspolitik zusammengeschlossen haben. Untersucht werden die Entwicklungen in der Landwirtschaft und die Auswirkungen der Agrarpolitik weltweit.

Kritischer Agrarbericht 2011

AbL-Verlag | ISBN 978-3-930 413-45-4 | 22 Euro