Kampf gegen das Rohstoffroulette

Der weltweite Anstieg von Rohstoffpreisen sorgt auch auf den Agrarmärkten für Unruhe. Eine Folge sind stark schwankende Preise für Nahrungsmittel. Beim Gipfeltreffen der Agrarminister der G20-Staaten soll deshalb ein Aktionsplan verabschiedet werden. Der bisherige Entwurf allerdings lässt wichtige Ursachen der Preisschwankungen außer Acht.

»Nahrungsmittelmärkte dürfen nicht zum Objekt von Spekulanten werden«, ließ die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im Vorfeld des Gipfels vermelden und kündigte einen Aktionsplan »mit schnellen, wirksamen Maßnahmen« an. Damit unterstützt sie eine Initiative Frankreichs, um die extremen Preisschwankungen auf den Agrarbörsen einzudämmen. Großbritannien hingegen sieht seinen Handelsplatz gefährdet – viele der Transaktionen laufen über London. Die Briten streiten den direkten Zusammenhang zwischen Spekulation und hohen Lebensmittelpreisen ab.

Hintergrund der Initiative ist die steigende Spekulation mit Agrarrohstoffen in den vergangenen Jahren. Banken, Hedgefonds und institutionelle Anleger wie Pensions- und Staatsfonds sowie Versicherungen versuchen mit dem Handel an der Börse beträchtliche Gewinne einzufahren und sind so »mit verantwortlich für steigende Nahrungsmittelpreise«, erklärt Oxfam-Handelsexpertin Marita Wiggerthale. Die Organisation warnt vor den Folgen, denn »wenn Preise explodieren und Nahrungsmittel unbezahlbar werden, hungern in Armut lebende Menschen und müssen bei der Gesundheitsversorgung und der Bildung sparen«. In vielen Ländern müssen die Menschen bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben.

Im Fokus der Kritik stehen die Neu-Spekulanten auf dem Agrarmarkt. So beklagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die »zunehmende Verflechtung« zwischen klassischen Märkten von Agrarprodukten und Finanzmärkten: »Natur und Umfang dieser Verbindungen sind wegen des Mangels an Transparenz schwer abzuschätzen.« 2008 war es zu extremen Preisschwankungen gekommen, in deren Folge in vielen Ländern Hungerrevolten stattfanden. Dazu stellte die Weltbank 2010 in einem Bericht fest, dass Fonds »eine Schlüsselrolle bei der Preisspitze 2008 gespielt haben«.

Spekulationen gefährden auch das Funktionieren der Warenterminbörsen, an denen physische Agrarrohstoffe gehandelt werden. Dagegen setzen Fonds auf steigende Preise und der An- und Verkauf erfolgt relativ unabhängig von Angebot, Nachfrage und Beständen.

In dem vorab bekannt gewordenen Entwurf des Aktionsplanes schlagen die Agrarminister die Schaffung eines Agrarinformationssystems (AMIS) für die G20-Staaten unter dem Dach der Welternährungsorganisation FAO vor und wollen ein reaktionsschnelles Krisenforum einrichten, wenn Nahrungsmittelkrisen drohen. Allerdings bleibt die konkrete Umsetzung, also Fragen wie Mandat, Einbindung der Nicht-G20-Staaten und die Rolle des Privatsektors, undefiniert. Zudem sollen die Getreidehändler ihre Daten freiwillig an AMIS geben. »Die G20 muss von den großen Getreidehändlern adäquate und zeitnahe Informationen über ihre Lagerbestände einfordern«, erklärt Agrarexpertin Wiggerthale. Nur so könne die Transparenz wirklich verbessert werden.

Gleichzeitig überlassen die Agrarminister den Finanzressorts der G20-Staaten die Initiative, Maßnahmen für die Eindämmung der Finanzspekulationen zu etablieren. Die internationale Bankenaufsicht will im September Empfehlungen für den Agrarsektor vorstellen. In der Diskussion sind Positions- oder Preislimits. Werden diese überschritten, könnten automatisch Regulierungsbehörden eingreifen und entscheiden, ob sie den Handel vorübergehend aussetzen. Länder wie Japan, Indonesien und Spanien plädieren dafür, die deutsche Ministerin Aigner hält diese Maßnahmen für »erwägenswert«.

Überwiegend ignoriert wird in dem Aktionsplan die Rolle der Agrartreibstoffe. Die Erklärung der Agrarminister fordert lediglich »weitere Analysen zum Zusammenhang zwischen der Produktion von Biotreibstoffen und Nahrungsmitteln und zu den Auswirkungen auf Preisschwankungen«. Hier gehört Deutschland zu den großen Blockierern; Forderungen zur Begrenzung von Agrartreibstoffen sind aus Berlin nicht zu vernehmen. Dabei hatte ein Bericht für die G20 von internationalen Organisationen wie FAO, Internationaler Währungsfonds und Weltbank festgestellt, dass eine erhöhte Bioethanol-Produktion die Versorgung mit Lebensmitteln reduziert und die Preise erhöht, und gezeigt, dass »Agrosprit Teil des Problems ist«, so Wiggerthale. Oxfam fordert die »Reform der fehlgeschlagenen Biosprit-Politik«.

In der Frage des zunehmenden Landraubs durch Spekulationen und Verkäufe wollen die G20-Minister die »Prinzipien für verantwortliche Agrarinvestitionen« unterstützen, mit denen sich private Investoren freiwillig Verhaltensregeln anschließen können. Allerdings kommen die meisten der Investoren aus den reichen Ländern. »Damit laufen die G20 Gefahr, den globalen Landraub zu legitimieren, anstatt Investoren aus den eigenen Ländern klare Grenzen zu setzen«, kritisiert Roman Herre, Agrarexperte der Menschenrechtsorganisation FIAN.

Oxfam warnt, die Agrarminister seien »mit großen Ambitionen gestartet«, jetzt drohe »eine echte Bruchlandung«.

 

Der Aktionsplan

Mit dem zentralen Agrar-Markt-Informations-System (AMIS) soll die Datenlage über die Entwicklung der Produktion, des Verbrauchs und der Lagerbestände verbessert werden. Die Angaben sind für Getreidehändler freiwillig. Das Datensystem soll nur die G20-Staaten umfassen und unter dem Dach der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) firmieren.

Mit dem Aufbau eines reaktionsschnellen Krisenforums (»Rapid Response Forum«) soll schnell auf instabile Märkte und extreme Preisschwankungen reagiert werden. Das Forum soll den Handel vorübergehend aussetzen können. Als Regulierungsinstrument könnten sowohl Limits auf Preise als auch auf Positionen installiert werden – also Obergrenzen, die im Markt gehalten, aber nicht überschritten werden dürfen.

Die Agrarminister wollen die Prinzipien für verantwortliche Agrarinvestitionen (PRAI) von Weltbank, der FAO, dem Internationalen Fonds für Agrarentwicklung (IFAD) und dem Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) unterstützen. Darin vereinbaren private Landinvestoren auf freiwilliger Basis, bestimmte Verhaltensregeln einzuhalten. Die Prinzipien sollen sicherstellen, dass große Land-Investitionen in Win-Win-Situationen münden, die den Investoren und den direkt betroffenen Gemeinschaften gleichermaßen zu Gute kommen. Der massive Ankauf von Landflächen begann nach der Nahrungsmittelkrise 2008.

Mit einem Transaktionsregister für den Warenterminhandel und dem außerbörslichen OTC-Handel soll für alle Seiten erkennbar sein, wer gerade spekuliert, um gegebenenfalls zu intervenieren. In der Kritik sind in erster Linie Investmentsfonds, die seit dem Jahr 2000 vermehrt auf Agrarrohstoffe spekulieren.

Verhandelt werden sollen auch regelmäßige Berichtspflichten für die Warenterminbörsen, die beispielsweise in den USA üblich sind.