Zum Schluss blieb dem alten Mann nur noch, seinem Konkurrenten zu gratulieren und damit seine Demokratietreue unter Beweis zu stellen: Abdoulaye Wade wurde am 25. März 2012 als Präsident des Senegals abgewählt. Der neue Mann an der Spitze des Staates heißt Macky Sall. Laut amtlichem Endergebnis haben ihm 65,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme gegeben, Wade kam wie in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen nur auf rund 34 Prozent. Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl lag mit 55 Prozent sogar noch etwas höher als beim ersten Wahlgang mit knapp 52 Prozent.
Dabei hatte Wade scheinbar bis zuletzt an seinen Sieg geglaubt. Noch am Tag vor der Wahl hatte er verschärfte Sicherheitsmaßnahmen bekannt gegeben. Polizeieinheiten waren vor allen öffentlichen Gebäuden und an wichtigen Zufahrtsstraßen nach Dakar positioniert, um – wie die Tageszeitung L’Observateur zitierte – »seinen Sieg zu sichern«. Bis zum späten Sonntagabend war die Stimmung im Land entsprechend angespannt. Die große Party begann erst, nachdem Wade seine Niederlage öffentlich eingestanden hatte.
Ungewiss war auch die Frage des Wahlbetrugs. Rund 300 BeobachterInnen der Afrikanischen Union (AU), der westafrikanischen Gemeinschaft ECOWAS und der Europäischen Union hatten angekündigt, in allen 14 Regionen des Landes Präsenz zu zeigen. Eine besondere Rolle kam den Medien zu, die ebenfalls an vielen Wahllokalen zugegen waren. Im senegalesischen Fernsehen wurde die Bevölkerung zudem aufgerufen, »selbst zum Beobachter zu werden« und Unregelmäßigkeiten mit dem Handy aufzunehmen und an eine Gratistelefonnummer zu schicken.
So viel Beobachtung zeigte offenbar Wirkung: Zwar soll es am Wahltag zu einzelnen Protesten und Bedrohungen von WählerInnen gekommen sein, WahlbeobachterInnen der EU sprachen aber von einer »Lehrstunde in Demokratie für die Region« und lobten den friedlichen Machtwechsel als »mustergültig«. Die Stichwahl sei ohne größere Unregelmäßigkeiten abgelaufen und der Sieg des Oppositionsführers von allen Seiten anerkannt worden, sagte der Leiter der EU-WahlbeobachterInnen, Thijs Berman.
Jetzt sind die Erwartungen an den 51-jährigen Macky Sall hoch, der es unter Wade zum Premierminister geschafft hatte, ehe er 2008 in Ungnade fiel, nachdem er ausgerechnet den Präsidentensohn Karim Wade wegen Korruptionsvorwürfen zu einer Anhörung in die Nationalversammlung vorgeladen hatte. Das nahm Präsident Wade seinem Parteifreund übel. Sall verlor alle seine Ämter und musste sich neue UnterstützerInnen suchen. Er gründete seine eigene Partei, die Allianz für die Republik (APR), wurde unter der neuen Fahne Bürgermeister der Stadt Fatick und arbeitete sich langsam wieder hoch.
Wade und Sall – »Wahl zwischen AIDS und Hepatitis«
Doch Macky Sall war und ist nicht der Traumkandidat für viele SenegalesInnen. »Wir hatten die Wahl zwischen AIDS und Hepatitis«, sagt ein junger Mann auf der Straße. »Wir haben Hepatitis gewählt, das ist immerhin eine heilbare Krankheit.« Senegal hat einen neuen Präsidenten, weil die Mehrheit der Bevölkerung den alten Staatschef satt hatte. Zwar hat Sall inhaltlich im Wahlkampf zu vielen Themen Stellung bezogen. Dennoch: Sein Amt verdankt er in erster Linie der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Wades Politik der Korruption und Vetternwirtschaft.
Besonders die Bewegung Mouvement du 23 juin, kurz M23, dem alle wichtigen KandidatInnen gegen Wade angehörten, das Bündnis Y’en a marre (»Es reicht«) und die Gruppe »Ne touche pas à ma constitution!« (»Hände weg von meiner Verfassung!«) hatten sich zum Ziel gesetzt, Wade abzuwählen. Deshalb stellten sie sich nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hinter den erfolgreichsten Gegenkandidaten und gründeten das Wahlbündnis Bennoo Bokk Yaakaar (Sammlung der Kräfte für den Wandel). Somit ist das Ergebnis der Stichwahl auch ein Erfolg der in den vergangenen Jahren entstandenen sozialen Bewegungen.
Jetzt ist der neue Präsident, der wie Wade eine liberale Politik vertritt, mit den Erwartungen seiner UnterstützerInnen konfrontiert und wird sich daran messen lassen müssen. »Das Ausmaß dieses Siegs entspricht den immensen Erwartungen der Bevölkerung«, sagte er noch in der Wahlnacht vor Tausenden AnhängerInnen in der Hauptstadt Dakar und versprach: »Heute Nacht beginnt im Senegal eine neue Ära.« Er kritisierte, die Politik der alten Regierung habe »auf Verschwendungen und überbesetzten Ministerien beruht.« Damit solle nun Schluss sein. Sein Sieg sei zugleich ein Sieg für die Freiheit, für das senegalesische Volk, die BäuerInnen und Fischer, die Frauen und die Jugend. Seine Ziele hat er klar benannt: Die steigenden Lebenshaltungskosten (Grundnahrungsmittel, Benzin, Gas und Strom) sollen gesenkt, die hohe Arbeitslosigkeit (besonders bei Jugendlichen) bekämpft und die Bildungspolitik reformiert werden. Zudem will er die Amtszeit eines Präsidenten von bisher sieben auf fünf Jahre reduzieren.
Fortsetzung der wirtschaftsliberalen Politik
Ein erstes Versprechen hat Sall bereits eingelöst: Statt wie bisher rund 50 wird es in seiner Regierung nur noch 25 MinisterInnen geben. Unter den neuen MinisterInnen sind einige seiner UnterstützerInnen, etwa der bekannte Musiker Youssou N’dour, der Minister für Kultur und Tourismus werden soll, oder die ehemalige und neue Gesundheitsministerin Eva Marie Coll Seck, die sich die Stabilisierung des Gesundheitssystems vorgenommen hat. Die Erwartungen an Sall sind auch bei den Studierenden und ProfessorInnen hoch: So wurde der monatelange Streik an Universitäten ausgesetzt, da mit der neuen Regierung ein ernstzunehmender Verhandlungspartner da sei. Gleichzeitig steht die neue Regierung unter Zeitdruck: Im Sommer wird ein neues Parlament gewählt, in dem die ehemals regierende Parti Démocratique Sénégalais (PDS) noch die Mehrheit stellt. Sall kündigte zunächst eine Verschiebung der für den 17. Juni geplanten Wahlen auf den 1. Juli an.
Eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik wird es mit Sall nicht geben, der in seiner Zeit unter Wade dessen wirtschaftsliberale Entscheidungen unterstützt hat. Der Liberalisierungskurs der PDS hatte die Probleme des Landes verschärft. Sall, der mit Abdoul Mbaye als erstes einen bisher in der Politik unbekannten Ex-Banker als Premierminister einsetzte, will dennoch keine grundsätzlich andere Politik. So sprach er im Wahlkampf von Public-Private-Partnership als erfolgreichem Modell und ist weiteren Privatisierungen nicht abgeneigt.
Zudem will er in einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, der Fischerei, zwar die Präsenz der europäischen Fischtrawler einschränken und dem Schutz des Ökosystems Meer höhere Priorität einräumen; allerdings hält er sich bei einer der Hauptforderungen der Fischer bedeckt: Sie wollen den Anteil des verarbeiteten Fisches erhöhen, um höhere Preise zu erhalten und damit aus der klassischen Rohstofffalle auszubrechen. Das gilt auch für andere Rohstoffe wie Gold, deren Ausbeutung durch ausländische Konzerne Sall nicht in Frage stellt. Stattdessen will er den Tourismuszweig stärken und die Jugendarbeitslosigkeit mit einem Programm zur Unterstützung von KleinunternehmerInnen senken. Das hat mit den Forderungen der Bevölkerung nach angemessenen Löhnen, besseren Jobs und mehr sozialer Sicherheit wenig zu tun.