Solidarität als Hauptgedanke

Kooperativen in Afrika: Die Vereinten Nationen haben 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen, um auf die weltweite Bedeutung von Kooperativen aufmerksam zu machen. Die experimend-Seiten widmen sich heute dem Kontinent Afrika, wo das Genossenschaftswesen noch nicht so ausgeprägt ist. Unsere Autoren besuchten zwei noch junge, aber vielversprechende Genossenschaften, eine in Südafrika, eine wie hier geschildert in dem Senegal.

Viel ist bereits geschrieben über die Situation der Kleinfischerei in Senegal. Passiert ist dagegen zu wenig. Abdoulaye Gueye Diop, der Generalsekretär der Fischereikooperative in Kayar, einer Fischerstadt an der senegalesischen Küste zwei Stunden nördlich der Hauptstadt Dakar, ist ungehalten an diesem Morgen. »Warum soll ich mit Ihnen reden? Ihr Europäer verändert ja doch nichts.« Er fügt wütend hinzu: »Die Situation ist schlicht katastrophal.« Dann beginnt er doch zu erzählen.

In Kayar leben 85 Prozent der Menschen direkt oder indirekt vom Fisch. In der Saison kommen zu den knapp 20 000 Einwohnern noch rund 3000 Wanderarbeiter mit ihren Familien hinzu. Doch es gibt nicht mehr viele gute Tage, an denen wie früher hunderte der bunt bemalten Holzboote am Strand einlaufen, Träger in Gummianzügen den Fisch an den Strand tragen und die wettergegerbten Gesichter der heimkehrenden Fischer so etwas wie Zufriedenheit ausstrahlen. »Viele hier sind müde«, sagt Diop. »Es gibt nicht mehr genug Fisch für alle.« Dabei kommen immer mehr Menschen nach Kayar, um in der Fischerei zu arbeiten. Gleichzeitig nimmt der Fischbestand weiter ab. Und mit ihm die Zahl der Pirogen, die täglich den Strand verlässt. »Wir fischen nur noch 15 bis 20 Prozent dessen, was wir früher in den Booten hatten. Vor 20 Jahren ist ein Boot zwei bis drei Stunden rausgefahren und hat zwischen 60 und 200 Fischen reingeholt. Heute bleiben die Boote die ganze Nacht draußen und kommen mit zehn Fischen zurück«, erzählt der knapp 60-Jährige.

Fischen wird teurer und gefährlicher

Die Folge: Der Fisch wird teurer. »Selbst Sardinen sind heute teuer«, erklärt Diop. »Vor zehn Jahren wurde eine Kiste Sardinen (rund 45 kg) für 3000 FCFA (rund 4,60 Euro) verkauft, heute nehmen wir bis zu 15 000 FCFA«, erklärt Diop. Der Verdienst erhöht sich dadurch nicht, denn die Fischer müssen immer weiter aufs Meer hinausfahren. Das erhöht die Kosten für Benzin, dessen Preis ohnehin gestiegen ist. »Früher mussten wir 15 bis 20 Kilometer rausfahren, jetzt sind es mehr als 45 Kilometer«, erzählt der Fischer Mar Mbaye. Das macht die Arbeit gefährlicher. Zudem wird die bestehende Sechs-Meilen-Verbotszone für industrielle Fangflotten immer wieder ignoriert, berichten die Fischer. Nachts fahren die Trawler mit abgeblendetem Licht in diese Zonen hinein. Der Zwang, immer weiter auf dem offenen Meer zu fischen, hat so schon zu einigen Todesfällen geführt. Denn weiter raus zu fahren bedeutet für die lokalen Fischer auch, in Konflikt mit den schwimmenden Fabriken zu kommen. Kommen sie ihnen zu nahe, ist das oft lebensgefährlich, fast immer aber bedeutet es den Verlust der Netze. Die riesigen Trawler fahren über die Netze der Kleinfischer, die sie noch per Hand auswerfen. Wirtschaftlich kann ein solcher Kontakt der letzte Schritt zum Ruin sein.

Um das zu verhindern, springt die Fischereikooperative ein. »Der Hauptgedanke unserer Organisation ist die Solidarität«, erklärt Diop. Alle Mitglieder zahlen einen Jahresbeitrag. Ist einer der Fischer in eine schlimme Lage geraten, ist er über die Kooperative erstmal abgesichert – sei es ein Todesfall in der Familie, Krankheit oder eben der Verlust der Netze. Ergänzend gibt es das »Solidarität-Fischen«. Um zu unterstützen, wird ein Teil jedes Fangs an die betroffene Familie abgegeben.

Rund 7000 Fischer sind in der Kooperative als »la pêche artisanale« (handwerkliche Fischer) organisiert, hinzu kommen zahlreiche autonome Fischer. »Aber die sind nicht das Problem«, erklärt Diop. »Wir kommen gut miteinander aus.« Das Problem ist der fehlende Fisch. Das Meer vor der westafrikanischen Küste wird leerer, den Rest erledigen große Trawler, die trotz internationalen Verbotes immer wieder riesige, tief schürfende Schleppnetze benutzen, wie die Fischer am Strand berichten. Während ein Fischtrawler rund 200 Tonnen pro Tag fischt, müssen für dieselbe Menge 50 kleine Fischerboote ein Jahr lang fischen gehen. Die Schiffe kommen heute überwiegend aus Russland, Südkorea und Japan. Allerdings umgehen auch europäische Großunternehmen das Verbot, vor der senegalesischen Küste zu fischen. Sie suchen sich afrikanische Partner und fischen unter einer afrikanischen Flagge. Erst im März dieses Jahres wurde ein Schiff unter litauischer Flagge, also einem EU-Land, beim illegalen Fischen erwischt. Die Strafen werden bezahlt, es wird aber weiter gefischt.

Fischereiversicherung mit politischem Mandat

Gegründet 1987, hat die Kooperative neben der konkreten Absicherung die Aufgabe, die Fischer politisch zu vertreten. Solche Kooperativen gibt es auch in Thiès, Joal, Mbour, St. Luis und anderen Küstenstädten. Die lokalen Kooperativen schicken Gesandte ins nationale Komitee, das Collectif national des pêcheurs artisanaux du Sénégal (CNPS), um die Forderungen der Fischer gegenüber dem Ministerium oder der Europäischen Union zu vertreten. Abdoulaye Diop war auch schon in Brüssel, vor fünf Jahren, um den Protest gegen das Fischereiabkommen mit der EU vorzutragen. Zur Unterstützung sind die Fischer in Kayar in den Streik getreten. »Wir haben uns organisiert, um gegen das Abkommen mit der EU politisch aktiv zu werden«, erklärt Diop.

Das Abkommen ist seit 2006 ausgesetzt, die Probleme der Fischer aber haben sich nur verschoben. Einerseits, weil die Trawler auch ohne Abkommen fischen, andererseits, weil die senegalesische Regierung bilaterale Abkommen geschlossen hat. Gegen Geld lässt der senegalesische Staat seine Küsten leer fischen. Dabei komme auch Korruption ins Spiel, berichtet der Generalsekretär des westafrikanischen Kleinfischerverbands (CAOPA), Gaoussou Gueye. Im Senegal etwa hätten Minister Fischereirechte an mehr als 20 ausländische Schiffe »verkauft«, um den eigenen Wahlkampf zu finanzieren, erklärt der Senegalese. Das Nachsehen haben dabei die Kleinfischer. Im März 2011 haben sie deshalb gegen den Verkauf der Fischrechte an einzelne Schiffe demonstriert. In Kayar haben die Fischer anlässlich eines Besuches von Makhar Thiam, dem Vertreter des Fischereiministeriums, rote Spruchbänder um die Stirn gebunden und Transparente hochgehalten mit der Aufschrift »Y’en marre!« (Es reicht!) und »Thiam Degage!« (Thiam, verschwinde!). Wenige Tage später sind einige von ihnen nach Dakar gefahren, um in der Hauptstadt zu demonstrieren. Die Polizei antwortete mit Tränengas.

»Die einzelnen Flotten sind noch schlimmer als der Vertrag mit der EU«, sagt Diop. Was ihn besonders aufregt, »die russischen Schiffe machen einfach Fischmehl, also Tierfutter. Dafür fischen sie das Meer leer!«. Zudem wird ein großer Teil des Fangs nicht verwendet. Bei der Garnelenfischerei vor der Küste Senegals wird pro Tonne gefangener Garnelen mindestens eine Tonne Fisch unerwünschter Arten wieder zurückgeworfen.

Für eine nachhaltige Verbesserung

Der neue Präsident des Landes, Macky Sall, hatte im Wahlkampf versprochen, den Kampf der lokalen Fischer zu unterstützen. Viele in Kayar haben ihm ihre Stimme gegeben. Sall scheint sie nicht zu enttäuschen: Bereits zu Ende April hat die Regierung 29 Fanglizenzen für ausländische Trawler annulliert.

Der Kooperative geht es nicht allein um Abwehrkämpfe, sie will die Situation der Fischer langfristig verbessern. 2005 hat sie – mit Geldern aus der japanischen Entwicklungshilfe – eine Trockenanlage in Betrieb genommen. Der getrocknete Fisch wird ins Landesinnere und in die Nachbarstaaten wie Mali und Burkina Faso verkauft. Haltbar gemacht werden hier nur wenige Fischsorten. Auf in Beton gegossenen Öfen räuchern die Frauen Heringe, Makrelen und Rochen unter dem offenem Himmel. »Wir würden gerne den Fisch auch anders weiterverarbeiten«, sagt Diop. Doch die Auflagen der Europäischen Union machen eine Fabrik, die in der Lage wäre, verarbeiteten Fisch nach Europa zu exportieren, unmöglich. So gehen die edlen Fischsorten als Rohstoff in den Export, der Erlös ist gering.

Geht es nach der EU-Kommissarin für Fischerei, Maria Damanaki, soll kein Geld mehr für den Bau großer Schiffe bereitgestellt werden. Dafür sollen die kleine Küstenfischerei, die Kontrolle und die Sammlung von Daten gestärkt und der Blick mehr auf Umweltschutz und nachhaltigen Fischfang gerichtet werden. Fischer sollen dafür bezahlt werden, weniger zu fangen. »Die würde ich gerne mal treffen, ihre Frau Damanaki«, sagt Abdoulaye Diop und lacht bitter. Er hat die Hoffnung aufgegeben, dass Europa den senegalesischen Fischern eine positive Entwicklung bringt.