Wiederentdeckung des Windantriebs

Frachtschiffe mit Flettner-Rotoren sollen bis zur Hälfte weniger Treibstoff verbrauchen

Im Jahr 1926 erreichte ein Schiff mit zwei merkwürdigen Säulenaufbauten den Hafen von New York. Es handelte sich um die „Baden-Baden“, 1924 noch auf den Namen „Buckau“ getauft, das erste und einzige Schiff, das der Ingenieur Anton Flettner mit dem von ihm entwickelten Windantrieb ausstatten konnte. Die beiden rotierenden Säulen, die äußerlich zwei riesigen Schornsteinen ähnelten, ersetzten dabei herkömmliche Segel. Trotz erfolgreicher Atlantik-Querung blieb die Baden-Baden ein Auslaufmodell. Diesel- bzw. heizölbetriebene Frachtschiffe waren einfacher zu bauen, der Rohstoff so billig, dass sich niemand weiter Gedanken über Windantriebe machte.

Heute ist das anders. Unabhängig voneinander entdecken Wissenschaftler der Universität Flensburg und der Windradhersteller Enercon GmbH in Zusammenarbeit mit einer Werft den „Flettner-Rotor“ wieder. Beide hoffen, auf diese Weise treibstoffsparende Frachtschiffe entwickeln zu können.

80 Jahre nach dem Anlegen der „Baden-Baden“ in New York wird in Flensburg der „Uni-Kat“ zu Wasser gelassen, ein sechs Meter langes Doppelrumpfboot, das von einem vier Meter hohen Flettner-Rotor angetrieben wird. Entwickelt wurde das Versuchsboot am Institut für Physik und Chemie unter Leitung von Lutz Fiesser. Im Praxistest will der Diplomand Ole Hillenbrand daran nun die Effizienz der Technik zeigen. Auch wenn der „Uni-Kat“ bisher in der Geschwindigkeit mit herkömmlichen Segelbooten mithalten konnte, ist der Betrieb des Rotors mit dem Segeln kaum vergleichbar. Beim Flettner-Rotor werden Strömungskräfte des Windes genutzt. Würde die Säule im Wind stehen, würde sie den Luftstrom einfach teilen, und es würde nichts weiter geschehen. Durch die Rotation jedoch entsteht auf einer Seite Reibung, während die Luft auf der anderen Seite schneller vorbeigeleitet wird. Das Resultat: Auf der Seite, wo Drehung und vorbeiströmender Wind dieselbe Richtung haben, entsteht ein Unterdruck, auf der anderen ein Überdruck. Folglich bewegt sich die Säule – und das damit verbundene Schiff – zur Unterdruckseite. Je nach Windgeschwindigkeit muss dabei auch die Drehgeschwindigkeit des Rotors angepasst werden. Ganz ohne Motorkraft geht es deshalb nicht. Beim Flensburger „Uni-Kat“ wird der Rotor über Solarzellen betrieben, die auf dem Boot installiert sind. Und für An- und Ablegemanöver braucht man zusätzlich einen Außenbordmotor. Bei Windstille oder auf Gegenwindkursen ist wie beim gewöhnlichen Segeln auch mit dem Flettner-Rotor nichts zu machen. „Wir sind davon ausgegangen, dass das Schiff bevorzugt auf Halbwindkursen fährt“, erklärt der beteiligte Techniker René Stachowitz von der Uni Flensburg. Kurse bis zu 70 Grad zum Wind seien mit dem Rotor machbar. Eine Besonderheit des „Uni-Kat“ ist auch die Form des Bootsrumpfes. Es handelt sich dabei um eine Proa, das ist ein Bootstyp, bei dem Bug und Heck identisch sind, es also keine bevorzugte Fahrtrichtung gibt.

„Der ‚Uni-Kat‘ wird sich nicht als Segelboot durchsetzen, die Idee ist für die Industrie gedacht“, meint Stachowitz. Der Segelspaß mit dem Flettner-Rotor wäre vergleichsweise langweilig. Für die kommerzielle Schifffahrt ist der Flettner-Rotor als Zusatzantrieb gedacht, der den Heizölverbrauch nach Angaben des Flensburger Teams um 30 bis 50 Prozent senken könnte.

Michael Dahm, Pressesprecher der Enercon GmbH, rechnet mit einer Energieersparnis von 50 Prozent. Die Windenergiefirma hat ein eigenes Frachtschiff entwickelt, das mit vier Flettner-Rotoren ausgestattet wird. Im Oktober 2008 soll die Lindenau-Werft in Kiel das 130 Meter lange Schiff ausgeliefert werden. Mit dem ersten Flettner-Schiff will Enercon seine Windräder zu den Kunden transportieren. Welche Routen befahren werden, dazu möchte der Enercon-Sprecher aber noch keine Auskunft geben. Von der Fahrtroute hängt allerdings ab, wie viel fossile Energie wirklich gespart werden kann. Auf kurzen Strecken mit vielen Hafenmanövern wäre die Ersparnis geringer als auf langen Routen mit überwiegend Seiten- oder Rückenwinden.

Sollten die 50 Prozent jedoch erzielbar sein, wären das bei einem Frachtschiff von 40 000 Tonnen 15 bis 20 Tonnen Heizöl pro Tag, bei den derzeitigen Ölpreisen also bis zu 6000 Euro. Zwar ist das an Bord verheizte Schweröl im Vergleich zum Autobenzin noch immer sehr billig, der Preis hat sich aber in den letzten drei Jahren verdreifacht. Anreiz genug für Reedereien, über Schiffe mit alternativen Antriebsarten nachzudenken. So entwarf auch die Firma „SkySails“, ein riesiges Gleitsegel, dass vor Frachtschiffe gespannt werden kann, so dass zusätzlich die Zugkraft des Windes genutzt wird. Bei der Lindenau-Werft ist man überzeugt, dass sich die Investition alleine für die Flettner-Rotoren in anderthalb bis zwei Jahren ammortisieren könnten. Und sollte das Enercon-Schiff die Erwartungen erfüllen, hofft man bald weitere Schiffe mit Flettner-Rotoren zu bauen. Allerdings gibt es weder für die Werft noch für Enercon einen Alleinvermarktungsanspruch, die Rechte an dem 1924 entwickelten Antrieb sind inzwischen frei.
Bei der Entwicklung der Rotoren für große Schiffe könnten sich schlimmstenfalls Probleme mit Vibrationskräften ergeben, wie es sie nach Überlieferung bei der „Baden-Baden“ gab.

Um möglichst viel Vortrieb zu erzeugen, gibt es zwei Varianten: entweder müssen die Rotoren entsprechend hoch sein, oder bei kleineren Aufbauten muss die Drehzahl erhöht werden. In beiden Fällen kann es bei einer ungleichmäßigen Massenverteilung leicht dazu kommen, dass das ganze Schiff in Schwingung versetzt wird. René Stachowitz von der Uni Flensburg glaubt allerdings, dass solche Probleme mit heutigen Materialien leichter zu meistern sind.